Entscheidungsstichwort (Thema)
Institutioneller Rechtsmissbrauch bei nicht nur vorübergehender Überlassung einer Leiharbeitnehmerin. Feststellungsklage zum Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Entleiherin bei Umgehung tariflicher Vergütung durch Einschaltung einer konzernrechtlich verbundenen Personalservicegesellschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Die nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung ist jedenfalls seit in Krafttreten der Regelungen im Ersten Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung - vom 28.04.2011 (BGBl. I, S. 642 f.) mit Wirkung zum 01.12.2011 unwirksam.
2. Eine nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung liegt jedenfalls dann vor, wenn die Entleiherin eine bestimmte Leiharbeitnehmerin ohne zeitliche Begrenzung entleiht und auf einem Arbeitsplatz, für den ein dauernder Beschäftigungsbedarf besteht, einsetzt oder einsetzen will; dem stehen rechtliche Möglichkeiten, den Überlassungsvertrag zu kündigen oder eine Abberufung der Leiharbeitnehmerin zu veranlassen, nicht entgegen.
3. Nach dem Grundsatz des institutionellen Rechtsmissbrauchs ist die Rechtverteidigung der Entleiherin, dass es mit dem Vorliegen der nach § 1 AÜG erforderlichen Erlaubnis an der Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses zwischen der Personalservicegesellschaft als Verleiherin und der Arbeitnehmerin als Leiharbeitnehmerin nach § 9 Nr. 1 AÜG fehlt, rechtsmissbräuchlich, wenn die Entleiherin unter Zwischenschaltung einer Personalservicegesellschaft die Grenze des Erlaubten in der Weise überschreitet, dass sie die Arbeitnehmerin in gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG seit dem 01.12.2011 unwirksamer Weise nicht nur vorübergehend von der Personalservicegesellschaft entleiht und in ihrem Betrieb einsetzt; gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG gilt daher ein Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin als zustande gekommen.
Normenkette
BGB §§ 242, 611 Abs. 1; AÜG § 1 Abs. 1 Sätze 1-2, § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1 S. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 11.12.2012; Aktenzeichen 8 Ca 820/12) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 11.12.2012 - 8 Ca 820/12 - abgeändert und festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis als Mitarbeiterin im Bereich Kasse/Info mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden besteht.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen.
Die Beklagte gehört zur G. GmbH & Co. KG und betreibt mehrere Warenhäuser unter anderem ein Warenhaus in K..
Unter dem 12.06.2008 hat die Beklagte als Entleiher mit der G. Personalservice GmbH & Co. KG (im Folgenden: Personalservicegesellschaft), an der die G. GmbH & Co. KG mit 50% beteiligt ist, als Verleiher für die Betriebsstätte K. den "Arbeitnehmerüberlassungsvertrag vom 01.06.2008" (vgl. Blatt 128 ff. d. A.) geschlossen.
Mit Bescheid vom 07.12.2006 (vgl. Blatt 447 d. A.) hat die Bundesagentur für Arbeit der Personalservicegesellschaft eine für die Dauer eines Jahres befristete Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung erteilt, diese mit weiteren Bescheiden (vgl. Blatt 448 ff. d. A.) in der Folgezeit jeweils verlängert und diese letztlich mit Bescheid vom November 2009 ab dem Dezember 2009 (vgl. Blatt 456 d. A.) unbefristet erteilt.
Im April 2008 hat die Personalservicegesellschaft ausweislich ihres Stellenangebotes (vgl. Blatt 138 d. A.) zur Neueröffnung des Warenhauses in K ab 23.06.2008 befristet bis zum 30.09.2008 mehrere Kassierer/innen gesucht.
Mit am 29.04.2008 bei der Personalservicegesellschaft eingegangenem Schreiben (vgl. Blatt 139 d. A.) hat sich die 1959 geborene Klägerin auf dieses Stellenangebot als Kassiererin beworben.
Im Mai 2008 hat ein Telefoninterview eines Mitarbeiters/einer Mitarbeiterin der Personalservicegesellschaft mit der Klägerin stattgefunden (vgl. Blatt 140 d. A.).
In der Folgezeit haben Herr B., der damalige Personalverantwortliche der Beklagten im Warenhaus in K., und Frau J., die damals zuständige Teamleiterin der Beklagten im Warenhaus in K., mit der Klägerin ein Gespräch geführt.
Mit Schreiben vom 05.06.2008 (vgl. Blatt 133 f. d. A.) hat die Beklagte den bei ihr in dem Warenhaus in K. gebildeten Betriebsrat zum befristeten Einsatz unter anderem der Klägerin im Bereich Kasse/Info in der Form der Arbeitnehmerüberlassung von der Personalservicegesellschaft für die Zeit ab 23.06.2008 angehört.
Mit Schreiben vom 09.06.2008 hat die Personalservicegesellschaft der Klägerin einen Arbeitsvertrag vom 05.06.2008, der trotz entsprechender Bitte des Gerichts nicht vollständig zur Akte gereicht worden ist, zugesandt. In der Folgezeit hat die Klägerin diesen Arbeitsvertrag unterzeichnet. Nach der Seite 1 des Arbeitsvertrages zwischen der Personalservicegesellschaft und der Klägerin (vgl....