Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame ordentliche Kündigung wegen häufiger Erkrankungen bei Einbeziehung von Fehlzeiten aufgrund Arbeitsunfällen und ausgeheilter Leiden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die krankheitsbedingte Kündigung setzt (auf der ersten Stufe) eine negative Gesundheitsprognose voraus; zum Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen.

2. Sprechen schon im Zeitpunkt der Kündigung objektive Umstände für eine Besserung des Gesundheitszustandes, fehlt es an einer negativen Prognose.

3. Prognosegeeignet ist ein Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung, der allerdings nicht auf einen "starren" Zeitraum dieser Länge bezieht sondern auch kürzer oder (bei einzelnen Fehlzeiten) länger sein kann; auch frühere Fehlzeiten, die bereits zur Begründung einer früheren krankheitsbedingten Kündigung herangezogen worden sind und die hinsichtlich dieser früheren Kündigung die notwendige negative Gesundheitsprognose noch nicht belegen konnten, können grundsätzlich zur Begründung einer erneuten negativen Gesundheitsprognose und krankheitsbedingten Kündigung herangezogen werden.

4. Einer negativen Prognose steht nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten; selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert, was auch dann gilt, wenn einzelne Erkrankungen (etwa Erkältungen) ausgeheilt sind.

5. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Krankheitsanfälligkeit nicht infrage.

6. Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen, lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (wie etwa eine Operation) ergriffen wurden; nicht zu berücksichtigen sind insbesondere Erkrankungen, die auf einen Betriebsunfall zurückzuführen sind, Erkrankungen mit Ausnahmecharakter und ausgeheilte Leiden.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2, 2 S. 1 Alt. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 03.07.2014; Aktenzeichen 2 Ca 131/11)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz, Az. 2 Ca 131/11 vom 3. Juli 2014 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 10. März 2009 beendet worden ist.
    2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 29. März 2012 beendet worden ist.
    3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
  • II.

    Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

  • III.

    Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2 Instanz) zu tragen.

  • IV.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung vom 29.03.2012 und aufgrund sonstiger Beendigungstatbestände.

Der 1957 geborene, verheiratete und noch gegenüber vier von insgesamt fünf Kindern unterhaltspflichtige Kläger ist bei der Beklagten mit Arbeitsvertrag vom 22.06.1990 (Bl. 5 ff. d. A.) seit dem 2. Juli 1990 als Querschneidergehilfe tätig. Diese Stelle wird im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb betrieben. Der Kläger leidet an Diabetes mellitus Typ II b. Sein GdB beträgt 40. Er verdient zuletzt circa 2.700,00 € brutto.

Die Beklagte beschäftigt mehr als 600 Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat besteht.

Der Kläger wies in den Jahren 2002 bis 2008 folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten auf:

2002: 35 Arbeitstage

2003: 36 Arbeitstage

2004: 31 Arbeitstage

2005: 185 Arbeitstage, davon 28 Arbeitstage bezahlt,

2006: 57 Arbeitstage, davon 53 Arbeitstage bezahlt,

2007: 76 Arbeitstage, davon 70 Arbeitstage bezahlt und

2008: 52 Arbeitstage, davon 33 Arbeitstage bezahlt.

Die Fehlzeiten des Klägers wurden teilweise durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern abgedeckt, im Übrigen durch andere Mitarbeiter der Abteilung im Rahmen von Mehrarbeit.

Zum betrieblichen Eingliederungsmanagement wurde der Kläger mit Schreiben vom 06.06.2008 und 15.12.2008 (Bl. 38 f. d. A.) gebeten, ohne dass er sich hierauf weiter äußerte. Am 20.01.2009 fand ein Gespräch statt, an dem neben dem Kläger sein Vorgesetzter Herr Z. und der Personalleiter Herr Y. teilnahmen und in dem angeboten wurde, auf eine ausgeschriebene Stelle als Staplerfahrer (Abteilung Aufbereitung) zu wechseln. Dies lehnte der Kläger indes jedenfalls wegen einer in der Zwischenzeit erfolgten Darmoperation ab; an seinem gegenwärtigen Arbeitsplatz habe er (mit Ausnahme der Kartonmaschine 3 bei Abrissen wegen Bluthochdrucks) keine gesundheitlichen Probleme.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung vom 13.02.2009 (Bl. 40 f. d. A.) und Widerspruch des Betriebsrats (Bl. 10 f. d. A.) mit Kündigungsschreiben vom 10.03.2009 (Bl. 9 d. A.) aus krankheitsbedingten Gründen zum 30.09.2009. Gegen diese Kündigung wandte sich der K...

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