Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Verdachtskündigung eines Kassierers bei hohem Indizwert objektiver Umstände

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der dringende Verdacht, dass der für die Verwaltung und Bedienung einer Gebührenkasse und der hierzu in seinem Büro befindlichen Registrierkasse zuständige Arbeitnehmer an vier Tagen Rückbuchungen zum Nachteil der Arbeitgeberin vorgenommen und sich damit die entsprechenden Geldbeträge zugeeignet hat, ist begründet, wenn der Arbeitnehmer für die von ihm geführte Kasse hauptverantwortlich ist, er etwa 90 Prozent der Bedienungsvorgänge durchgeführt hat, an den fraglichen vier Tagen selbst die Abrechnungen gemacht hat, diese zusammen mit dem abgerechneten Geldbetrag jeweils um 8.30 Uhr bei der Hauptkasse vorgelegt hat, obwohl die vergütungspflichtige Arbeitszeit erst ab 7.30 Uhr beginnt und zu dieser Zeit auch regelmäßig noch keine anderen Beschäftigten anwesend sind, der Arbeitnehmer an allen vier Tagen jeweils zu den Uhrzeiten im Hause war, zu denen nach der sichergestellten Journalrolle die Rückbuchungen stattgefunden haben und nach den von der Arbeitgeberin vorgelegten Mitarbeiterjournalen er als einzige Person in allen vier Fällen jeweils kurz zuvor seine Arbeit begonnen hat; unter diesen Umständen sprechen alle objektiven Umstände dafür, dass gerade der gekündigte Arbeitnehmer und nicht etwa eine andere Person die dokumentierten Rückbuchungen vorgenommen hat.

2. Der absolute Ausschluss der Täterschaft anderer Personen ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung; ausreichend ist eine hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft, die nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass mit einer nur sehr geringen Wahrscheinlichkeit auch die Täterschaft anderer in Betracht kommt.

 

Normenkette

BGB § 611 Abs. 1; ZPO § 286 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 08.05.2014; Aktenzeichen 2 Sa 425/13)

ArbG Trier (Aktenzeichen 4 Ca 1340/11)

 

Tenor

Das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 08.05.2014 - 2 Sa 425/13 - wird aufrechterhalten.

Der Kläger hat auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung und um Annahmeverzugsansprüche.

Der 1952 geborene, verheiratete Kläger war seit 01. August 1967 bei der Beklagten gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 3.390,65 EUR beschäftigt und Mitglied des Personalrats.

Er war zuständig für die Verwaltung und Bedienung der von der Beklagten als Ordnungsbehörde geführten Gebührenkasse und der hierzu in seinem Büro befindlichen Registrierkasse. Neben dem Kläger, der ca. 90 % der Bedienungsvorgänge durchführte, bedienten gelegentlich auch die Beschäftigten W. A., M. Sch. und C. P. die Kasse. Neben dieser Gebührenkasse gibt es im Haus der Beklagten noch zwei weitere Kassen und eine Zentralkasse, bei der die Einnahmen der einzelnen Gebührenkassen einmal wöchentlich abgerechnet werden.

Bei der durch den Kläger geführten Registrierkasse besteht die Möglichkeit, durch das Drücken entsprechender Bedienertasten (insgesamt vier Bedienertasten) zwischen dem Kassenpersonal zu unterscheiden. Dies wurde jedoch nicht praktiziert. Vielmehr war die vom Kläger bediente Taste 1 (Bediener 1) permanent eingestellt und wurde bei der Bedienung der Kasse durch einen anderen Mitarbeiter nicht gewechselt, so dass alle Buchungen unter der Bedienernummer 1 erfolgten. Die Kasse bietet die Funktion, die Uhrzeit der Buchung auszuweisen und über jeden Vorgang einen Kassenbon mit einer fortlaufenden Nummer zu drucken. Insgesamt enthält die Kasse zwei Rollen. Während die eine Rolle jeweils als Kassenbon abgerissen werden kann - sog. Kassenrolle -, verbleibt die andere Rolle - die sog. Journalrolle - innerhalb der Kasse. Die Kasse bietet die Möglichkeit, einen X1-Bericht zu erstellen und auszudrucken. Dabei handelt es sich um einen Wochenbericht (bzw. einen Bericht über den Zeitraum seit Erstellen des letzten X1-Berichts). Er enthält alle Buchungen der jeweiligen Woche und wurde durch den Kläger regelmäßig donnerstags erstellt und zur Abrechnung bei der Zentralkasse verwendet. Ein X1-Bericht besteht aus zwei Teilen. Zunächst werden in ihm die Einnahmen unter verschiedenen Sachgruppen, z. B. Passamt, Gewerbeamt, aufgelistet ("Gruppenbericht"). Sodann enthält der X1-Bericht am Ende des Berichts einen "Finanzbericht", der eine Addition der Einnahmen und eventuelle Rücknahmebuchungen ausweist. Ferner kann ein Z1-Bericht erstellt werden. Dieser enthält eine dem X1-Bericht entsprechende Einnahmesumme und hat zusätzlich die Funktion, dass die Daten wieder zurückgesetzt werden, also die fortlaufende Nummer wieder bei "1" beginnt. Der Wochenspeicher der Kasse wird durch die Erstellung des Z1-Berichts gelöscht.

Die Uhrzeit der Kasse lässt sich verändern, was zur Umstellung von Sommerzeit auf Winterzeit auch regelmäßig erfolgte. Bei ordnungsgemäßer Bedienung der Kasse wird die Umstellung auf der Journal- bzw...

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