Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kündigungsschutz bei Kündigung innerhalb der gesetzlichen Wartezeit. Unterrichtungspflicht das Arbeitgebers nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Zweck der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Einschränkung des Grundsatzes der subjektiven Determinierung. Richterliche Überzeugung bei der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO
Leitsatz (redaktionell)
1. Handelt es sich im Streitfall um eine in der Probezeit und gleichzeitig in der gesetzlichen Wartezeit nach § 1 KSchG ausgesprochene Kündigung, bedarf diese mit Blick auf den allgemeinen Kündigungsschutz nach § 1 KSchG keiner Begründung. Die Voraussetzung des sechsmonatigen Bestandes des Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 1 KSchG) ist nicht gegeben.
2. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nur diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (Grundsatz der subjektiven Determinierung).
3. Nach § 102 BetrVG soll dem Betriebsrat die Möglichkeit geben werden, durch seine Stellungnahme auf den Willen des Arbeitgebers einzuwirken und ihn durch Darlegung von Gegengründen u.U. von seiner Planung, den Arbeitnehmer zu entlassen, abzubringen.
4. Der Grundsatz der subjektiven Determinierung gilt nicht uneingeschränkt. Denn die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers über die Irrelevanz oder Relevanz bestimmter Umstände ist dadurch beschränkt, dass der Arbeitgeber ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebs- oder Personalrat nicht deshalb vorenthalten darf, weil sie im Rahmen seines Kündigungsentschlusses keine Bedeutung erlangt haben.
5. Bei der Anwendung des § 286 ZPO kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Normenkette
BetrVG § 102; KSchG §§ 1, 23; ZPO § 286; BGB § 626; ZPO § 141
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 26.04.2022; Aktenzeichen 3 Ca 937/21) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 26.04.2022 - 3 Ca 937/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung in der Probezeit sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.
Der Kläger ist seit 01.02.2021 als Busfahrer bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.900,- EUR beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten sind regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt.
Die Beklagte hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 14.07.2021, dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, ordentlich während der Probezeit zum 31.07.2021 gekündigt. Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 30 d.A. Bezug genommen. Die Beklagte nimmt Bezug auf eine schriftlich mit Schreiben vom 06.07.2021 sowie mündlich am 06.07.2021 erfolgte Betriebsratsanhörung zur Probezeitkündigung; hinsichtlich des weiteren Inhalts des Schreibens vom 06.07.2021 wird auf Bl. 48 d.A. Bezug genommen.
Vorausgegangen war ein Unfall am 05.06.2021 und eine vom Kläger ausgesprochene Eigenkündigung vom 07.06.2021 mit Wirkung zum 31.07.2021, die der Beklagten unter Wahrung der Voraussetzungen des § 623 BGB übermittelt worden war und hinsichtlich deren weiteren Inhalts auf Bl. 31 f. d.A. Bezug genommen wird. Am 05.07.2021 fand eine Anhörung des Klägers und ein Gespräch mit ihm statt, dessen Inhalt die Parteien kontrovers darstellen.
Der Kläger hat vorgetragen,
im Gespräch am 05.07.2021 sei ihm zugesagt worden, dass das Arbeitsverhältnis weiterhin fortgeführt werde. Dem Betriebsratsvorsitzenden V. sei im Gespräch am 06.07.2021 von Herrn R. nichts zu den Gründen der Kündigung mitgeteilt worden. In der am 07.07.2021 zur Kündigungsanhörung durchgeführten Betriebsratssitzung habe der Betriebsratsvorsitzende V. bei Herrn O., dem Rechts-Unterzeichner des Anhörungsschreibens, angerufen und gefragt, warum die Kündigung ausgesprochen werden solle, da in der Betriebsratsanhörung kein Grund angegeben sei. Herr O. habe erklärt, dass er zu den Gründen keine Angaben machen wolle, da es sich um eine Kündigung in der Probezeit handele. Dies habe er mehrfach wiederholt. Im weiteren Verlauf der Betriebsratssitzung habe Herr V. gegenüber dem Kollegium zum Ausdruck gebracht, dass ihm, dem Betriebsratsvorsitzenden, keine Gründe genannt worden seien. Aufgrund der Reaktion von Herrn V. sei völlig unplausibel, dass ihm, Herrn V., am 06.07.2021 die Gründe schon mitgeteilt worden seien.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 14.07.2021, zuge...