Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Tariflohnerhöhung gegenüber der Betriebserwerberin bei arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf ein “Tarifentgelt„
Leitsatz (redaktionell)
1. Ungeachtet einer zeit- und inhaltsdynamischen Regelung des Arbeitsvertrages darf ein durchschnittlicher Arbeitnehmer jedenfalls bei einer Verknüpfung von einem festen Entgeltbetrag und dessen Bezeichnung als “Tarifgehalt„ redlicherweise davon ausgehen, dass der in der Klausel festgehaltene Betrag für die Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht statisch sein wird sondern sich entsprechend den tariflichen Entwicklungen des maßgebenden Tarifvertrags verändern soll; will eine redliche Arbeitgeberin die von ihr gestellte Klausel anders verstanden wissen, wird sie die Bezeichnung als “Tarifentgelt„ unterlassen, um damit klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass sie nicht “nach Tarif„ zahlen will sondern sich das vereinbarte Entgelt ausschließlich nach den konkret bezifferten Parteivereinbarungen richten soll.
2. Die Bindung der Betriebserwerberin an eine von ihrer Rechtsvorgängerin mit dem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag verstößt nicht gegen unionsrechtliche Regelungen des Art. 3 der Richtlinie 23/2001/EG vom 12.03.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen und Art. 16 der EU-Grundrechtecharta (Unternehmerische Freiheit).
Normenkette
ArbGG § 64 Abs. 6 S. 1; BGB § 613a Abs. 1 S. 1; RL 2001/23/EG Art. 3; ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2; BGB § 307 Abs. 1 S. 2, § 611a Abs. 2; EU-Grundrechtecharta Art. 16; EGRL 23/2001 Art. 3 Fassung: 2001-03-12
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 14.01.2016; Aktenzeichen 2 Ca 1090/15) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 14. Januar 2016 - 2 Ca 1090/15 - wie folgt abgeändert:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 582,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 15. März 2014 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.479,75 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit 11. September 2015 zu zahlen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch der klagenden Partei auf eine Tariflohnerhöhung.
Der Kläger, der Mitglied der Gewerkschaft ver.di ist, wurde kraft schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29. September 2005 (Bl. 9 f. d. A.; im Folgenden: AV) ab 01. Oktober 2005 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Mitarbeiter/ -in Non Food eingestellt. Ziff. 2 und 4 AV lauten:
"2. Auf das Arbeitsverhältnis finden die jeweils geltenden Tarifverträge des Einzelhandels und die Gesamtbetriebsvereinbarungen bzw. die Betriebsvereinbarungen in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.
...
4. Der Mitarbeiter erhält ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 1.986,00 Euro.
Tarifentgelt: |
1.986,00 EUR Tarifgruppe G2 |
|
im 06. Berufs-/Tätigkeitsjahr |
|
Stufungsdatum: 01.02.2000 |
Gesamt: |
1.986,00 EUR |
Der über das Tarifentgelt hinausgehende und nicht ausdrücklich als nicht anrechenbar bezeichnete Betrag ist eine freiwillige Leistung von Z.,-, die ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für die Zukunft erfolgt."
Zum 01. Juli 2008 erfolgte ein Betriebsübergang auf die Beklagte. Zuvor hatte die tarifgebundene Rechtsvorgängerin der Beklagten ihre Mitarbeiter mit Schreiben vom 08. Mai 2008 nach § 613a Abs. 5 BGB über den bevorstehenden Betriebsübergang informiert und dabei ua. mitgeteilt, die Beklagte sei tarifgebunden.
Die Beklagte, die nicht tarifgebunden ist, vergütete die klägerische Partei auch nach dem Betriebsübergang zunächst nach den Gehaltssätzen der Gehaltsgruppe G II/6 des jeweiligen Gehaltstarifvertrages für die Angestellten im Einzelhandel X., geschlossen vom Landesverband Einzelhandel X. eV. und der Gewerkschaft ver.di.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2011 (Bl. 14 d. A.), wegen dessen weiterer Einzelheiten auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, teilte die Beklagte der klagenden Partei mit, ein im August 2009 angesichts ihrer fehlenden Tarifgebundenheit mit dem Betriebsrat geschlossenes Betriebliches Bündnis, in dem ua. die Anwendung des x-Einzelhandelstarifvertrages vereinbart worden sei, ende am 30. Juni 2011 und obgleich bislang weder mit ver.di, noch mit dem Betriebsrat eine gemeinsame Lösung zu finden gewesen sei, gebe sie freiwillig folgende Zusicherung:
"1. Wir werden Sie auch nach dem 30. Juni 2011 entsprechend den Regelungen des gültigen x-Einzelhandelstarifvertrages vergüten.
2. Sobald in 2011 ein neuer Gehalts- und Lohntarifvertrag für den x-Einzelhandel abgeschlossen sei, werde auch dieser neue Tarifvertrag mit den darin enthaltenen Regelungen - insbeso...