Entscheidungsstichwort (Thema)
Persönlichkeitsrecht als "sonstiges Recht" i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB. Entschädigung bei schwerwiegendem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Zuleitung eines Nacktfotos an Arbeitskollegen als schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Missachtung des Selbstbestimmungsrechts durch unbefugte Weiterleitung persönlicher Fotos
Leitsatz (amtlich)
In der unbefugten Zuleitung eines Nacktfotos an einen gemeinsamen Arbeitskollegen kann eine so gravierende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des betroffenen Arbeitnehmers liegen, dass diesem ein Entschädigungsanspruch zusteht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Das verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als "sonstiges Recht" i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt und bezeichnet das Recht des Einzelnen auf Achtung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. Zu seinem Schutzbereich zählt auch der sog. Ehrenschutz, der auf den Schutz gegen unwahre Behauptungen, herabsetzende, entwürdigende Äußerungen und Verhaltensweisen gerichtet ist.
2. Ein Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, wobei insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen sind.
3. Die Veröffentlichung/Verbreitung/Weiterleitung von Nacktbildern einer Person ist in einem so starken Maße mit deren Intimbereich verbunden, dass eine Veröffentlichung ihrer freien Selbstbestimmung unterliegt. Die unbefugte Veröffentlichung eines solchen Bildes stellt sich als Anmaßung einer Herrschaft über ein fremdes Persönlichkeitsgut dar. Es muss jedem Menschen freistehen, selbst zu entscheiden, ob und welchem Personenkreis Einblicke in seine Intimsphäre gestattet werden soll.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1-2; StGB § 186; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; SGB VII § 105 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 13.10.2022; Aktenzeichen 8 Ca 1712/21) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 13.10.2022, Az. 8 Ca 1712/21, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und der Klarstellung halber insgesamt wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 3.000,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.01.2022 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 92% und die Beklagte zu 8%. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 92% und die Beklagte zu 8%.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche.
Der Kläger ist seit dem 01.09.1983 bei der B. in E-Stadt (im Folgenden: B.) als kaufmännischer Angestellter im Customer Service beschäftigt, zuletzt zu einer Bruttomonatsvergütung von durchschnittlich 5.437 Euro. Bei der Beklagten handelt es sich um eine Arbeitskollegin, mit der er sich in Abwesenheit vertrat und seit Oktober 2017 ein Büro teilte. Im August 2018 war der Kläger wegen einer Bronchitis arbeitsunfähig erkrankt. Nachdem er seine Arbeit im September 2018 wiederaufgenommen hatte, wurde er von der B. mit Schreiben vom 28.09.2018 ab 01.10.2018 bis auf weiteres freigestellt. In dem Schreiben heißt es:
"Wegen der Nichtbeachtung Ihnen erteilter Anweisungen und damit einhergehender Störung des betrieblichen Friedens ist eine Sachverhaltsklärung erforderlich. Sie werden daher ab 01.10.2018 ... freigestellt ... Wir bitten Sie, in dieser Angelegenheit am Montag, 15.10.2018 ... in unserem Personalwesen vorzusprechen."
Ab 08.10.2018 wurde dem Kläger von seinem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie H. Arbeitsunfähigkeit wegen einer mittelgradigen depressiven Episode nebst Angstzuständen und Schlafstörungen bescheinigt. In dem Personalgespräch am 15.10.2018 teilte die B. dem Kläger mit, es habe Kollegen und den Betriebsfrieden gestört, dass er aus seiner Arbeitsunfähigkeit im August heraus weitergearbeitet habe. Seine Freistellung hob sie auf. Der Kläger seinerseits informierte sie in diesem Gespräch über seine aktuelle Arbeitsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 09.11.2018 stellte die B. den weiter arbeitsunfähig erkrankten Kläger "anlässlich aus weiteren Ermittlungen ... ab sofort ... bis auf weiteres" von seiner Arbeitspflicht frei. Eine Rehabilitationsmaßnahme vom 21.05. - 25.06.2019 verlief erfolglos, die Arbeitsfähigkeit des Klägers konnte ausweislich des ärztlichen Entlassungsberichts vom 05.07.2019 nicht wiederhergestellt werden. Am 16.01.2020 erschien der immer noch arbeitsunfähig erkrankte Kläger zu einem Gespräch beim betriebs...