Entscheidungsstichwort (Thema)

Unangemessene Benachteiligung durch arbeitsvertragliche Klausel zur "Arbeit nach Bedarf"

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, nach der die Arbeitszeit einer Produktionsmitarbeiterin "bei Bedarf" und damit bei entsprechendem Arbeitsanfall über die vereinbarte "normale" Arbeitszeit von zwei Schichten je Woche "bis zur Vollzeit flexibilisiert" werden kann, wobei "Vollzeit" die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit meint, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, da sie die Arbeitnehmerin entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.

2. Beträgt die vertragsgemäße wöchentliche Arbeitszeit einer Produktionsmitarbeiterin 38 Stunden und erweist sich die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitszeitregelung als unwirksam, tritt aufgrund einer zur Schließung der entstandenen Vertragslücke durchzuführenden ergänzenden Vertragsauslegung an die Stelle der unwirksamen Arbeitszeitregelung eine feste Arbeitszeit von 38 Wochenstunden.

 

Normenkette

BGB § 307 Abs. 1 S. 1, §§ 157, 242, 611 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 14.07.2015; Aktenzeichen 12 Ca 2473/14)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.7.2015 - 12 Ca 2473/14 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 24.9.2002 als Mitarbeiterin in der Produktion in Vollzeit mit einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 38 Stunden zu beschäftigen.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.103,75 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

      1. aus 1230,72 € seit dem 1.2.2015
      2. aus 1315,01 € seit dem 1.3.2015
      3. aus 1493,48 € seit dem 1.4.2015
      4. aus 1489,19 € seit dem 1.5.2015
      5. aus 1342,84 € seit dem 1.6.2015
      6. aus 1404,08 € seit dem 1.7.2015
      7. aus 975,08 € seit dem 1.8.2015
      8. aus 1498,35 € seit dem 1.9.2015
      9. aus 355,00 € seit dem 1.7.2015
    3. Die weitergehende Zahlungsklage wird abgewiesen.
  • II.

    Die Beklagte hat die erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 16 % der Klägerin und zu 84 % der Beklagten auferlegt.

  • III.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über den Umfang der vertragsgemäßen Arbeitszeit der Klägerin.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 14.01.2002, zuletzt auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 24.09.2002, als Mitarbeiterin in der Produktion beschäftigt. Aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen der zwischen der Beklagten und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie abgeschlossenen Firmentarifverträge Anwendung. Die Klägerin ist in Entgeltgruppe E 2 des maßgeblichen Entgelttarifvertrages eingruppiert. Die tarifliche Vergütung für eine Vollzeittätigkeit beläuft sich in dieser Entgeltgruppe auf 2.367,00 Euro brutto monatlich. Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt gemäß § 2 des maßgeblichen Manteltarifvertrages 38 Stunden.

Der Arbeitsvertrag der Parteien vom 24.09.2002 enthält u.a. folgende Regelungen:

"3. Arbeitszeit

Die jeweils gültige regelmäßige Arbeitszeit ist im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen sowie durch die entsprechenden betrieblichen Regelungen bzw. Betriebsvereinbarungen festgelegt.

...

7. Sonstige Vereinbarungen

Sie werden in Teilzeit eingesetzt. Ihre normale Arbeitszeit beträgt 2 Schichten je Woche. Die Arbeitszeit richtet sich nach den betriebsüblichen Schichten; hiernach können Sie in Früh-, Spät-, Nachschicht oder in den Wochenendschichten eingesetzt werden. Bei Bedarf kann die Arbeitszeit bis zur Vollzeit flexibilisiert werden. ..."

Im Betrieb der Beklagten entsprechen seit dem 01.01.2015 zwei Schichten pro Woche einer wöchentlichen Arbeitszeit von 15,2 Sunden; fünf Schichten pro Woche entsprechen der tariflichen Vollzeitbeschäftigung von 38 Wochenstunden.

Die Klägerin wurde ab Beginn des Arbeitsverhältnisses (zunächst) bis auf wenige Ausnahmen von der Beklagten in Vollzeit beschäftigt.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 24.03.2014 bat die Klägerin unter Hinweis auf eine Entscheidung des LAG Hamm vom 04.05.2006 - 8 Sa 2046/05 - um eine "Überprüfung" ihres Arbeitsvertrages und machte mit ihrer am 27.06.2014 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage den Anspruch geltend, von der Beklagten in Vollzeit beschäftigt zu werden mit der Begründung, die im Arbeitsvertrag getroffene Teilzeitregelung sei nachträglich durch eine stillschweigende Abrede in ein Vollzeitarbeitsverhältnis abgeändert worden.

Seit dem 19.01.2015 setzt die Beklagte die Klägerin nicht mehr in Vollzeit, sondern lediglich in zwei Schichten pro Woche in der Produktion ein.

Die Klägerin hat erstinstanzlich - über ihren Antrag auf Beschäftigung in Vollzeit hinausgehend - die Beklagte im Wege mehrerer Klageerweiterungen auf Nachzahlung der Differenz zwischen der tariflichen Vollzeitvergütung und der seitens der Beklag...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?