Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufklärungspflicht. Doppelbesteuerung. Fürsorgepflicht. Gehaltsabrechnung. Lohnsteuerbescheinigung. Schadensersatz. Steuerrechtsstreit. Steuersachen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Liegen die Anwendungsvoraussetzungen eines Doppelbesteuerungsabkommens vor, entfällt das Besteuerungsrecht des Wohnsitzstaats des Arbeitnehmers. Das Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung greift nur dann ein, wenn sich der grundsätzlich nach § 1 Abs. 1 S. 1 EStG in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtige Arbeitnehmer während des betreffenden Steuerjahrs (Kalenderjahrs) länger als 183 Tage im ausländischen Tätigkeitsstaat, d.h. vorliegend in Ungarn, aufhält.

2. Der Arbeitgeber ist nicht von sich aus verpflichtet, einen Arbeitnehmer auf die bestehende Rechtslage hinzuweisen, weil der Arbeitnehmer selbst Schuldner der Lohnsteuer ist.

 

Normenkette

BGB § 241 Abs. 2, §§ 242, 249 Abs. 1, § 611 Abs. 1; EStG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 10.05.2011; Aktenzeichen 4 Ca 618/10)

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 10.05.2010; Aktenzeichen 4 Ca 618/10)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 10. Mai 2011, Az.: 4 Ca 618/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte, weil er in Ungarn für das Jahr 2003 zur Steuernachzahlung herangezogen wird.

Der 1965 geborene Kläger ist mit einem GdB von 60 schwerbehindert. Er war vom 26.08.1985 bis zum 30.09.2004 bei der Beklagten als Schuhtechniker beschäftigt. Die Beklagte betreibt eine Schuhfabrik in der Südwestpfalz, in den 90er Jahren nahm sie auch eine Schuhproduktion in Ungarn auf. Ab August 1994 entsandte sie den Kläger jeweils für mehrere Zeitabschnitte im Jahr zur Produktionsüberwachung nach Ungarn. Im Jahr 1997 heiratete der Kläger eine ungarische Staatsangehörige. Die Ehe wurde 2004 geschieden.

Am 09.10.1999 erlitt der Kläger in Ungarn auf dem Weg zur dortigen Arbeitsstätte einen Verkehrsunfall. Dabei zog er sich schwere Verletzungen (u.a. Hirnquetschungen) zu. Nach langer Krankheit entsandte ihn die Beklagte ab dem 27.08.2002 wieder nach Ungarn. Nur im Jahr 2003 hielt er sich länger als 183 Tage in Ungarn auf. Im Jahr 2004 beendeten die Parteien das Arbeitsverhältnis zum 30.09. aus gesundheitlichen Gründen durch Aufhebungsvertrag.

Die Beklagte hatte im Rahmen einer Gruppenunfallversicherung auch für den Kläger eine Versicherung gegen die wirtschaftlichen Folgen körperlicher Unfälle abgeschlossen, die Unfälle in der ganzen Welt im beruflichen wie privaten Bereich umfasste. Die Unfallversicherung zahlte 2001 einen Teilbetrag von EUR 6.391,15 (DM 12.500,00) direkt an den Kläger. Sie erkannte mit Schreiben vom 21.01.2003 beim Kläger einen Invaliditätsgrad von 60 % an und ermittelte eine Invaliditätsleistung von insgesamt EUR 76.694,00 (DM 150.000,00). Die Versicherung zahlte 2003 den Restbetrag von EUR 70.302,85 an die Beklagte. Die Beklagte rechnete mit der Gehaltsabrechnung für April 2003 einen Teilbetrag der Versicherungsleistung von EUR 44.738,05 brutto ab und führte Lohnsteuer, Zuschlagsteuern und Sozialabgaben ab. Da nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Ungarn (183-Tage-Regelung) das Besteuerungsrecht für den Kläger im Jahr 2003 dem Land Ungarn zustand, erstattete das Finanzamt T.-Stadt dem Kläger die im Jahr 2003 einbehaltene Lohnsteuer. Für 2003 wird der Kläger in Ungarn zur Steuer herangezogen.

Am 20.12.2006 übergab die Beklagte dem Kläger einen Verrechnungsscheck über EUR 11.605,87 als Teil des verbleibenden Restbetrags der Versicherungsleistung von EUR 25.564,80. Unter anderem wegen des verbleibenden Betrags von EUR 13.958,93 erhob der Kläger am 22.12.2006 die vorliegende Klage (früheres Az.: 4 Ca 765/06). Die Beklagte bescheinigte dem Kläger für 2006 einen Bruttoarbeitslohn von EUR 25.564,80 unter Abzug von Steuern. Dementsprechend veranlagte das Finanzamt den Kläger für 2006. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger gegen den Steuerbescheid 2006 Klage. Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 11.12.2008 (BFH – VI R3/08 – dokumentiert in Juris) entschieden, dass die an den Kläger im Jahr 2006 weitergeleitete Leistung aus der Gruppenunfallversicherung nicht als Arbeitslohn anzusehen ist. Die abgeführte Lohnsteuer 2006 ist daraufhin vom Finanzamt T.-Stadt an den Kläger erstattet worden.

Mit Steuerbescheid vom 15.06.2006 (Nr. 0000000: Übersetzung: Bl. 101-107 d.A.) stellten die ungarischen Steuerbehörden für das Jahr 2003 folgende Steuerschuld des Klägers fest:

Einkommensteuer

Forint

6.512.994

Steuerstrafe

Forint

1.302.600

Verzugszuschlag

Forint

2.246.600

Summe

Forint

10.062.194

Die ungarischen Steuerbehörden bewerteten den im Jahr 2003 ausgezahlten Unfallversicherungsteilbetrag von EUR 44.738,05 als steuerpflichtiges Einkommen. Der Kläger führte deswegen einen Rechtsstreit in Ungarn. Mit rechtskräftigem Urteil vom 07.11.2007...

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