Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretungstätigkeit als Befristungsgrund. Befristungskontrolle und institutioneller Rechtsmissbrauch. Rechtsmissbrauch bei Dauer und Häufigkeit von Befristungen. Keine Anspruchsgrundlage durch vermeintlichen Vertrauenstatbestand
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Befristung zur Vertretung einer in Elternzeit befindlichen Lehrkraft vereinbart, stellt diese Vertretungstätigkeit einen Sachgrund für die Befristung gem. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG dar. Dabei muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft gegeben sein.
2. Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.
3. Liegt ein Sachgrund vor, kann von der Befristung des Arbeitsverhältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt bereits acht Jahre oder es wurden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart.
4. Erklärungen des Arbeitgebers, die Hoffnung auf eine Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses machen, begründen keinen Vertrauenstatbestand. Zu Unrecht enttäuschtes Vertrauen verpflichtet lediglich zum Ersatz des Vertrauensschadens, begründet aber keinen Erfüllungsanspruch.
Normenkette
BEEG § 21 Abs. 1; BGB § 242; SchulG Rheinland-Pfalz § 25 Abs. 4; TzBfG § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 2 S. 1, § 12 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 16.11.2021; Aktenzeichen 1 Ca 435/21) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 16.11.2021 - 1 Ca 435/21 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) hat die Klägerin zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung.
Die Klägerin, die über keine Lehramtsbefähigung verfügt, ist staatlich anerkannte Diätassistentin und Ernährungsberaterin. Sie war in der Zeit vom 26. August 2016 bis zum 29. August 2021 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge (sog. PES-Verträge) und Änderungsverträge beim beklagten Land als Lehrkraft an der Integrierten Gesamtschule (IGS) B-Stadt beschäftigt. Dort unterrichtete sie stets im schuleigenen Wahlpflichtfach Soziales, Ernährung und Wirtschaft (SEW), wobei sie auf Anordnung auch zur Unterrichtung weiterer Fächer (Bildende Kunst und Deutsch) in den Klassenstufen 5 bis 10 und im Rahmen von nicht fachgebundenen Stunden (wie Klassenleiterstunde und sog. "Offenes Lernen") eingesetzt wurde.
Zuletzt schlossen die Parteien einen befristeten Arbeitsvertrag vom 13./14. August 2020, nach dem die Klägerin ab 17. August 2020 als teilzeitbeschäftigte Lehrkraft mit 70,37 v.H. der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer entsprechenden vollbeschäftigten Lehrkraft (= 19/27 Lehrerwochenstunden) "befristet gemäß § 21 BEEG bis zum 29. August 2021" eingestellt wurde (Bl. 167 - 182 d.A.). In den dem Arbeitsvertrag beigefügten Unterlagen ist in einem mit "Hinweis an die ADD" überschriebenen Dokument (Bl. 182 d.A.) unter dem Punkt "Zu vertretende Person (Name, ..., Vertretungsgrund)" folgende Angabe enthalten:
"A. J. T., ..., mutterschutz".
Neben dem befristeten Arbeitsvertrag vom 13./14. August 2020 schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag vom 13./14. August 2020, nach dem die Klägerin mit 77,78 v.H. der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit einer entsprechenden vollbeschäftigten Lehrkraft (= insgesamt 21/27 Lehrerwochenstunden) beschäftigt wurde (Bl. 183 - 189 d.A.). In § 1 des Änderungsvertrags heißt es, dass die vereinbarte Befristung des Arbeitsvertrages durch diesen Änderungsvertrag unberührt bleibt. In den dem Änderungsvertrag beigefügten Unterlagen enthält der "Hinweis an die ADD" (Bl. 189 d.A.) unter dem Punkt "Zu vertretende Person" folgende Angabe:
"A. J. T., ..., Anrechnungsstunden-Kompensation".
Wegen der Einzelheiten der jeweils zwischen den Parteien geschlossenen Verträge nebst beigefügten Unterlagen wird auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 24. August 2021 (Bl. 59 d.A.) vorgelegten Verträge (Bl. 60-189 d.A.) Bezug genommen:
- Arbeitsvertrag vom 16./24. August 2016 (für die Zeit ab 26. August 2016 mit Höchstbefristung bis zum 30. Juni 2017)
- Änderungsvertrag vom 30. Juni 2017 (mit Verlängerung der im Ausgangsvertrag vom 16./24. August 2016 vereinbarten Höchstbefristung bis zum 29. September 2017)
- Arbeitsvertrag vom 27./28. September 2017 (für die Zeit ab 30. September 2...