Entscheidungsstichwort (Thema)
Unbillige Weisung der Arbeitgeberin zur ausschließlichen Tätigkeit eines Software-Ingenieurs und Systementwicklers am Betriebsort statt von zu Hause aus. Stillschweigende Vereinbarung zur Anerkennung von Fahrzeiten des Arbeitnehmers von zu Hause zur Betriebsstätte. Feststellungsklage zur Unwirksamkeit einer arbeitsgeberseitigen Weisung bei unzureichenden Darlegungen der Arbeitgeberin zur eigenen Interessenlage
Leitsatz (redaktionell)
1. Beruft sich die Arbeitgeberin auf die Wirksamkeit der Ausübung ihres Weisungsrechts, trägt sie die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 106 GewO; dazu gehört, dass sie darlegt und im Streitfall beweist, dass ihre Entscheidung billigem Ermessen entspricht.
2. Zur Darlegung einer Weisung zum Arbeitsort hat die Arbeitgeberin insbesondere in ausreichender Weise ihre berechtigten eigenen Interessen daran darzulegen, dass der Arbeitnehmer künftig ausschließlich am Betriebssitz arbeitet; ein Sachvortrag der Arbeitgeberin, der sich insoweit in der pauschalen und vom Arbeitnehmer bestrittenen Behauptung erschöpft, dass die in der Hauptaufgabenliste des Anstellungsvertrags genannten Tätigkeiten (wie etwa Erstellen/Ändern/Testen von Programmen nach Anweisung; Konzeption und Erstellung von kundenspezifischen Lösungen nach Vorgabe; Unterstützung der Hotline und des Betreuungsteams) nur am Betriebssitz und nicht aus dem Home-Office heraus erledigt werden können, erweist sich in Ermangelung jeglicher konkreter Darlegungen sowie vor dem Hintergrund, dass der Arbeitnehmer zuvor seine Tätigkeit als Systementwickler ganz überwiegend von zu Hause aus erledigt hat, als unzureichend.
3. Hat der Arbeitnehmer erhebliche Interessen an der Beibehaltung seines Home-Office als zeitlich überwiegenden Arbeitsort, weil er bei einer ausschließlichen Tätigkeit am Betriebssitz entweder dorthin umziehen oder zumindest dort eine Zweitwohnung anmieten oder aber täglich die Wegstrecke von seinem Wohnort zum Betriebssitz (über 300 km) und zurück mit einem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen müsste, entspricht eine Weisung der Arbeitgeberin zur ausschließlichen Tätigkeit am Betriebssitz nicht billigem Ermessen im Sinne des § 106 GewO.
4. Hat die Arbeitgeberin in der Vergangenheit die Fahrzeiten des Arbeitnehmers von zu Hause zur Betriebsstätte durchweg als Arbeitszeit anerkannt und ihm diesbezüglich auch Fahrtkosten erstattet, kann aus eine solchen langjährigen Handhabung ein auf die Beibehaltung dieser Übung gerichteter Vertrauenstatbestand zugunsten des Arbeitnehmers und somit auch eine entsprechende rechtliche Verpflichtung der Arbeitgeberin erwachsen, wenn nicht ohnehin naheliegenderweise von einer zumindest konkludent zustande gekommenen Vereinbarung zwischen den Parteien über die Anerkennung dieser Fahrten als Dienstreisen auszugehen ist.
Normenkette
GewO §§ 106, 106 S. 1; ZPO § 138 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 14.05.2014; Aktenzeichen 11 Ca 4288/13) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.5.2014 - 11 Ca 4288/13 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:
- Es wird festgestellt, dass die dem Kläger erteilte Weisung der Beklagten vom 27.8.2013, seine Arbeitsleistung ausschließlich im Betrieb der Beklagten in C-Stadt zu erbringen, unwirksam ist.
- Es wird festgestellt, dass die Fahrten des Klägers von seinem Wohnort, Weinberghalde 3, A-Stadt, zur Betriebsstätte der Beklagten im C-Straße, C-Stadt, Dienstreisen sind.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Beklagte hat die erstinstanzlichen Kosten zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 2/3 der Beklagten und zu 1/3 dem Kläger auferlegt.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, an welchem Ort der Kläger seine Arbeitsleistung zu erbringen hat.
Der am 10.08.1958 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen seit dem 01.06.1986 auf der Grundlage mehrerer, zeitlich aufeinanderfolgender Arbeitsverträge, derzeit als Software-Ingenieur und Servicemitarbeiter beschäftigt. In der Zeit vom 16.05.2002 bis 31.12.2012 erfolgte die Beschäftigung des Klägers auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 17.09.2002 als Systementwickler.
Bis zum 31.07.2009 unterhielt die Beklagte neben ihrem Standort in C-Stadt einen weiteren Standort in L., den sie zum 01.08.2009 veräußerte. Bis zu diesem Zeitpunkt war L. der Arbeitsort des Klägers. Nach dem 01.08.2009 verrichtete der in A-Stadt wohnende Kläger seine Arbeit ganz überwiegend zu Hause in seinem Home-Office. Soweit er von zu Hause aus zur Betriebsstätte der Beklagten nach C-Stadt mit seinem Privat-Pkw fuhr, wurden die Fahrzeiten von der Beklagten als Arbeitszeit anerkannt. Darüber hinaus wurden ihm hierfür Kilometergeld gezahlt und Spesen erstattet.
Im Jahr 2012 beabsichtigte die Beklagte, das Team Datenbank, welchem der Kläger angehörte, zu reduziere...