Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste bei betrieblicher Produktion nach Auftragslage. Wirtschaftliche Prognose der Arbeitgeberin unter Berücksichtigung schwankender Auftragslage und sachgerechter Preisgestaltung. Unzureichende Darlegungen des Arbeitnehmers zur Widerlegung gesetzlich vermuteter Betriebsbedingtheit
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG bedingt ist, wenn die Beschäftigten, denen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind; das gilt nicht, soweit sich die Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 Satz 3 KSchG).
2. Liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vor, wird gemäß § 292 ZPO die rechtliche Folge (das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG) ohne weiteren Vortrag der Arbeitgeberin gesetzlich vermutet; diese Vermutung bezieht sich sowohl auf den Wegfall der bisherigen Beschäftigung als auch auf das Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb.
3. Der nach § 292 zulässige Beweis des Gegenteils ist seiner Natur nach Hauptbeweis und damit erst dann geführt, wenn die Unwahrheit der vermuteten Tatsache voll bewiesen ist, aus der sich ergibt, dass der vermutete Rechtszustand (die Betriebsbedingtheit der Kündigung) nicht oder anders besteht; der Arbeitnehmer hat daher darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass in Wirklichkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn weiterhin besteht.
4. Für den erforderlichen Beweis des Gegenteils reicht eine bloße Erschütterung der Vermutung nicht aus; es ist vielmehr ein substantiierter Tatsachenvortrag erforderlich, der den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel zieht sondern ausschließt.
5. Dem Arbeitnehmer können bei der Führung des Gegenbeweises gewisse Erleichterungen nach den Regeln der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zugutekommen; grundsätzlich kann von ihm verlangt werden, (zumindest) greifbare Anhaltspunkte zu benennen, aus denen sich die Unrichtigkeit der nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG vermuteten Tatsache ergeben soll.
6. Zu dem Entscheidungsspielraum der Arbeitgeberin gehört die Befugnis, die Zahl der Arbeitskräfte zu bestimmen, mit denen eine Arbeitsaufgabe erledigt werden soll; die Arbeitgeberin kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zugeordnete Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmer-Stunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen, wobei insbesondere auch eine unternehmerische Entscheidung zu respektieren ist, den Mitarbeiterstamm äußerst knapp zu bemessen und auf eine Personalreserve zu verzichten.
7. Findet bei der Arbeitgeberin als Herstellerin von Fertigbädern keine kontinuierliche monatliche Produktion statt sondern werden die Produkte abhängig von Auftragseingängen in einem aufwendigen Herstellungsprozess hergestellt und besteht der Anlass für den Interessenausgleich in einer wirtschaftlichen Notlage, die auf einen starken Preiskampf auf dem Fertigbädermarkt und die im Ausland produzierende Konkurrenz zurückzuführen ist, kann sich die Arbeitgeberin angesichts schwankender Auftragslage zur Vermeidung hoher Kapazitäten zu nicht sachgerechten Preisen auf Parameter festlegen, mit denen sie von einer Auslastung durch sich rechnende Aufträge ausgeht.
8. Werden Leiharbeitnehmer lediglich zur Abdeckung von "Auftragsspitzen" eingesetzt, liegt keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG vor; die Arbeitgeberin kann dann typischerweise nicht davon ausgehen, dass sie für die Auftragsabwicklung dauerhaft Personal benötigt, und es kann ihr deshalb regelmäßig nicht zugemutet werden, entsprechendes Stammpersonal vorzuhalten.
9. An einem "freien" Arbeitsplatz fehlt es in der Regel auch, soweit die Arbeitgeberin Leiharbeitnehmer als "Personalreserve" zur Abdeckung von Vertretungsbedarf beschäftigt; das gilt unabhängig von der Vorhersehbarkeit der Vertretungszeiten.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 3, S. 2, Abs. 5 Sätze 1-3, § 17 Abs. 2; BetrVG § 111; ZPO § 292
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 26.03.2014; Aktenzeichen 2 Ca 3732/13) |
Tenor
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 26.03.2014, Az.: 2 Ca 3732/13, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
II.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.
Der 1968 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 23. Juli 2005 zu einem Bruttostundenlohn von 14,39 EUR bei regelmäßig 38 Wochenstunden bei der Beklagten beschäftigt. Der zuletzt abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 20. Dezember 2006 ...