Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers. Freistellungserklärung des Arbeitgebers zur Anrechnung auf Urlaub. Aufrechnungsrecht des Arbeitgebers nur gegenüber Nettoansprüchen des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung verfällt nicht, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungs- und Hinweispflichten dem Arbeitnehmer gegenüber nicht nachgekommen ist.

2. Will der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Erfüllung seines Urlaubsanspruchs freistellen, dann muss er das in einer für den Arbeitnehmer erkennbaren Art und Weise diesem gegenüber ausdrücklich erklären.

 

Normenkette

BGB § 387; BUrlG § 7 Abs. 4, 3; ZPO § 322 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 04.06.2020; Aktenzeichen 5 Ca 861/19)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 4. Juni 2020, Az. 5 Ca 861/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub aus mehreren Jahren.

Die 1969 geborene Klägerin ist die Schwester des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH der Beklagten. Sie war vom 01.01.2005 bis zum 28.02.2019 bei der Beklagten als Bürokauffrau zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 2.430,00 mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden in der Fünftagewoche beschäftigt. Ab Mitte November 2018 war die Klägerin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Ihr jährlicher Urlaubsanspruch betrug 30 Arbeitstage. In der Gehaltsabrechnung für Dezember 2018 wurde ein Resturlaubsanspruch von 88 Tagen vermerkt.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten mit ihrer am 25.03.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Abgeltung von 93 Urlaubstagen mit einem Tagessatz von € 112,15 brutto. Die Urlaubstage schlüsselt sie wie folgt auf:

Jahr

Resturlaub aus Vorjahr(en)

laufender Jahresurlaub

erfüllte Urlaubstage

2017

57,5

30

16

2018

71,5

30

13,5

2019

88,0

5

0

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte zu verurteilen an sie € 10.430,31 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, zu den Aufgaben der Klägerin habe die gesamte Personalbuchhaltung gehört. Sie habe ihren Urlaub selbst eingetragen. Im Jahr 2018 habe die Klägerin 17 Tage Urlaub genommen. Zudem habe sie Tage, an welchen sie in ihrem Kalender Termine für Besuche beim Friseur, Augenoptiker, Tierarzt etc. verzeichnet habe, zu Unrecht nicht als Urlaubstage erfasst. Sie habe der Klägerin aufgrund der familiären Beziehung ein besonderes Vertrauen eingeräumt. So habe die Klägerin zwar Urlaubstage mit dem Geschäftsführer abgestimmt; dieser habe weder den tatsächlichen Urlaubsanspruch der Klägerin zu den jeweiligen Zeitpunkten noch eine korrekte Verbuchung der genommenen Urlaubstage kontrolliert. Sie habe gegen die Klägerin einen Gegenanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, mit dem sie aufrechne. Die Klägerin habe im Jahr 2006 ohne ihr Wissen und Wollen zu ihren Gunsten und zu Lasten des Betriebs eine Direktversicherung mit der Z. Lebensversicherungs AG abgeschlossen. Die Versicherungsprämien, die weder versteuert noch verbeitragt worden seien, habe die Klägerin von einem Betriebskonto "abgezweigt". Den Lebensversicherungsvertrag habe sie aufgelöst und die Versicherungssumme auf ihr Konto "umgeleitet".

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 04.06.2020 stattgegeben. Die Klägerin habe gem. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung von 93 Urlaubstagen in eingeklagter Höhe. Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe die Erfüllung von Urlaubsansprüchen, die über die von der Klägerin genannte Anzahl hinausgingen, nicht substantiiert vorgetragen. Die Klägerin treffe keine sekundäre Darlegungslast, weil die Beklagte auf die ordnungsgemäße Verbuchung des Urlaubs vertraut habe. Weder die gesetzlichen noch die arbeitsvertraglichen Urlaubsansprüche der Klägerin seien gem. § 7 Abs. 3 BUrlG zum jeweiligen Jahresende 2016, 2017 und 2018 verfallen, weil die Beklagte ihren unionsrechtlich gebotenen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen sei (vgl. EuGH 06.11.2018 - C-684/16; BAG 19.02.2019 - 9 AZR 423/16). Dies führe zu einem uneingeschränkten Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren. Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin sei nicht durch Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen. Eine rechtswirksame Aufrechnung könne nur mit einem konkret bezifferten Gegenanspruch erklärt werden. Die Beklagte habe nicht dargelegt, in welcher Höhe der behauptete Gegenanspruch zur Aufrechnung gebracht werden soll, so dass eine Feststellung des Erlöschens der Forderung der Klägerin bereits aus diesem Grund nicht möglich ist. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 04.06.2020 Bezug genommen.

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