Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellungsanspruch nach dem Bildungsfreistellungsgesetz Rheinland-Pfalz. Feststellung
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Anerkennung einer Bildungsveranstaltung nach § 7 Bildungsfreistellungsgesetz Rheinland-Pfalz durch das Ministerium für Wissenschaft und Weiterbildung wird im Einzelfall für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer als Teilnehmer einer Bildungsveranstaltung nicht verbindlich darüber entschieden, daß die Voraussetzungen des § 3 BFG über die berufliche oder gesellschaftspolitische Weiterbildung gegeben sind (im Anschluß an BAG vom 09.02.93, AP Nr. 1 zu § 9 BildungsurlaubsG Hessen).
2. Die ministerielle Anerkennung einer Veranstaltung begründet jedoch eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind. Es ist Sache des beklagten Arbeitgebers, im Rahmen des ihm Möglichen, konkret einzelne Anerkennungsvoraussetzungen in Frage zu stellen.
3. Eine Veranstaltung mit dem Thema „Interessenvertretung in Betrieb und Gesellschaft” dient der gesellschaftspolitischen Weiterbildung i.S.d. § 3 Abs. 3 BFG.
Normenkette
Bildungsfreistellungsgesetz Rheinland-Pfalz
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Urteil vom 10.05.1995; Aktenzeichen 4 Ca 2601/94) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 10.05.1995 – 4 Ca 2601/94 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen,
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten seit Januar 1989 beschäftigt. Seine Arbeitsvergütung belief sich zuletzt auf DM 4.500,– brutto monatlich.
Die Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik, Bezirk Rheinland-Pfalz, Verwaltungsstelle W. (im Folgenden: Gewerkschaft) führte am 25.10., 08.11., 22.11., 06.12. und 20.12.1994 in der Stadthalle R. -B. ein Seminar mit dem Thema „Interessenvertretung in Betrieb und Gesellschaft” durch. Mit Bescheid vom 28.06.1994 ist diese Veranstaltung durch das Ministerium für Wissenschaft und Weiterbildung Rheinland-Pfalz als Bildungsveranstaltung nach dem Landesgesetz über die Freistellung von Arbeitnehmer innen und Arbeitnehmern für Zwecke der Weiterbildung (im Folgenden: BFG) und der Landesverordnung zur Durchführung des Bildungsfreistellungsgesetzes (BFGDVO) anerkannt worden. Dem Ministerium wurde im Rahmen des Anerkennungsverfahrens ein Seminarplan vorgelegt, der folgenden Inhalt der Veranstaltung aufweist:
Seminar:
Interessenvertretung in Betrieb und Gesellschaft
Lernziel:
Die Teilnehmer/innen befassen sich mit der Situation der Arbeitnehmer/innen in Betrieb und Gesellschaft. Sie erarbeiten eine realistische Einschätzung ihrer Situation. Dabei erkennen sie, daß gesetzliche Bestimmungen für die am Wirtschaftsprozeß Beteiligten existieren. Die Teilnehmer/innen erarbeiten darüber hinaus die Aufgabe der Verbände und ihrer Rechtsstellung in der Bundesrepublik Deutschland.
25.10.1994 |
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Begründung, |
Vorstellung der Teilnehmer/innen, Organisatorisches |
vormittags: |
Einführung |
09.00–12.00 |
Arbeitsgruppen zum Erkennen von betrieblichen Problemen und die Funktion der betrieblichen Interessenvertretung |
nachmittags: |
Auswertung der Arbeitsgruppen |
13.00–16.00 |
Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat, Beschäftigten, Arbeitgeber und Gewerkschaften |
08.11.94 |
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vormittags: |
Rechte, Pflichten und Handlungsmöglichkeiten |
09.00–12.00 |
der Beschäftigten des Betriebsrates, der Vertrauensleute und Arbeitgeber |
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Arbeitsgruppen, Planspiel |
nachmittags: |
Auswertung der Arbeitsgruppen im Plenum |
13.00–16.100 |
Organisation der Arbeit von betrieblicher Interessenvertretung, Projektarbeit und Zusammenarbeit auf der betrieblichen Ebene |
22.11.94 |
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vormittags: |
Geschichte der Gewerkschaftsbewegung |
09.00–12.00 |
Veränderte Zeiten – neue Aufgaben Rolle und Notwendigkeit von Gewerkschaften heute |
nachmittags: |
Tarifpolitische Forderungen der Gewerkschaften |
13.00–16.00 |
Wie entstehen sie; welche gesellschaftliche Bedeutung hat die Tarifpolitik |
06.12.94 |
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vormittags: |
Fallbeispiele an betrieblichen Problemen in |
09.00–12.00 |
Arbeitsgruppen Auswertung der Arbeitsgruppen im Plenum |
nachmittags: |
Arbeitnehmer und Gewerkschaften im 13.00–16.00 technischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsprozeß Wirkungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers in Betrieb und Gewerkschaft |
20.12.94 |
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vormittags: |
Mitwirkung, Gestaltung und Mitbestimmung der |
09.00–12.00 |
Arbeitnehmer/innen und des Betriebsrates in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten |
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Plenum und Arbeitsgruppen |
nachmittags: |
Auswertung der Arbeitsgruppen im Plenum |
13.00–16.00 |
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– Zusammenfassung |
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– Lehrgangskritik |
Das Seminar findet jeweils von 9.00 bis 16.00 Uhr statt.
Mit einem Schreiben an „alle interessierten Arbeitnehmer” lud die veranstaltende Gewerkschaft unter Hinweis auf den Freistellungsanspruch nach dem BFG zu dieser Veranstaltung ein. Die Teilnahmegebühr wurde mit DM 300,– für die gesamte Veranstaltung bekanntgegeben. Für Mitglieder der Gewerkschaft wurden die Kosten von dieser übernommen. Mit Schreiben gleichen Datums wandte sich die Gewerkschaft an alle Betriebsratsvorsitzenden und bat darum, die Einladung an den be...