Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch einer angestellten Fachassistentin auf Urlaubsabgeltung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Geltendmachung eines Anspruchs auf Erstattung von Krankengeld im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber hat zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten konkret und transparent dafür Sorge zu tragen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraumes verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. 2. Der Arbeitnehmer kann nicht im Wege gewillkürter Prozessstandschaft für die Krankenkasse den Anspruch auf Erstattung von Krankengeld geltend machen.
Normenkette
BUrlbG § 7 Abs. 4; EFZG § 3 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 12.10.2022; Aktenzeichen 12 Ca 900/22) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12. Oktober 2022, Az. 12 Ca 900/22, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Urlaubsabgeltung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft die Erstattung von Krankengeld.
Die im April 1958 geborene Klägerin war seit Januar 1978 bis zum 12. Dezember 2022 bei der beklagten C. zuletzt am Dienstort W-Stadt als Fachassistentin angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der C. (TV-BA) Anwendung. Die Klägerin wurde nach Tätigkeitsebene V Stufe 6 TV-BA vergütet.
In den letzten Jahren traten hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten auf; im Jahr 2019 erkrankte die Klägerin an 107 Arbeitstagen. Im Januar 2020 wurde sie an der Schulter operiert, was zu einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit vom 21. Januar bis zum 9. Oktober 2020 führte. Vom 12. Oktober bis 18. November 2020 nahm sie den beantragten und bewilligten Erholungsurlaub aus dem Jahr 2019. Ab dem 19. November 2020 erkrankte die Klägerin erneut langfristig, zunächst bis einschließlich 21. Januar 2022, einem Freitag.
Zwischenzeitlich beantragte die Klägerin mehrfach die Gewährung von Erholungsurlaub, der ihr von der Beklagten jeweils nicht bewilligt wurde. Zunächst beantragte sie mit E-Mail vom 16. Dezember 2020 (Bl. 60 d.A.) die Gewährung von 46 Urlaubstagen im Jahr 2021 (30 Tage aus 2020, 16 Tage aus 2021) in mehreren Zeitabschnitten. Mit E-Mail vom 28. August 2021 (Bl. 57 d.A.) teilte sie der Beklagten mit, dass ihre Krankheit am 10. September 2021 ende. Sie beantragte die Gewährung von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2020 in der Zeit vom 13. September bis 22. Oktober 2021. Schließlich beantragte sie mit Anwaltsschreiben vom 15. November 2021 (Bl. 64 d.A.) "zur Vermeidung des Verfalls" die Gewährung von 29 Urlaubstagen aus dem Jahr 2020 ab dem 19. November 2021. Die Klägerin war freilich im gesamten Kalenderjahr 2021 krankgeschrieben.
Am 9. Dezember 2021 teilte sie der Beklagten per E-Mail (Bl. 88 d.A.) mit, dass sie noch bis 11. Januar 2022 krankgeschrieben sei. Ferner bat sie um Mitteilung, ob ihr ab dem neuen Jahr wieder der tarifliche Krankengeldzuschuss zustehe. Da es sich immer noch um dieselbe Erkrankung handele, sei sie sich nicht sicher. Außerdem bat sie um Beantwortung der Frage, ob ihr der Krankengeldzuschuss im neuen Jahr nur gezahlt werde, wenn eine andere Erkrankung vorliege.
Die letzte Folgebescheinigung bis voraussichtlich 21. Januar 2022 stellte Frau Dr. med. S., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, am 17. Januar 2022 aus. In der Ausfertigung für Versicherte (Anlage 6 zur Berufungsbegründungsschrift, Bl. 250 d.A.) sind als AU-begründende Diagnosen "ICD-10: F 34.1 G" und "ICD-10: F 33.2 G" aufgeführt; für die Krankenkasse ist das Kästchen "Endbescheinigung" angekreuzt. Am Montag, dem 24. Januar 2022 erschien die Klägerin krankheitsbedingt nicht zur Arbeit. Sie legte der Beklagten eine Erstbescheinigung vor, die ihr Hausarzt Dr. med. R. am 24. Januar bis voraussichtlich 28. Januar 2022 ausgestellt hat. In der Ausfertigung für Versicherte (Bl. 288 d.A.), die die Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung vorlegte, ist die AU-begründende Diagnose "ICD-10: A 08.3 G" aufgeführt. Die Klägerin war anschließend noch bis zum 30. April 2022 arbeitsunfähig krankgeschrieben; die Folge-Diagnose(n) nannte sie nicht. Die Beklagte lehnte Entgeltfortzahlung für sechs Wochen vom 24. Januar bis 6. März 2022 ab. In diesem Zeitraum bezog die Klägerin von der gesetzlichen Krankenkasse X. Krankengeld iHv. € 3.413,96. Mit Schreiben vom 31. Januar 2022 teilte die X. der Beklagten mit, dass die vorherige Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 21. Januar 2022 geendet habe und für die aktuelle Arbeitsunfähigkeit ab 24. Januar 2022 voller Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehe. Es lägen keine anrechenbaren Vorerkrankungen vor.
Am 9. Januar 2022...