Entscheidungsstichwort (Thema)
Austrittsrecht aus dem Arbeitgeberverband. Kündigungsfrist. Koalitionsfreiheit
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Bestand der Koalition wird durch den Austritt eines Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband weit mehr gefährdet als durch den Austritt eines Arbeitnehmers aus der Gewerkschaft. Das rechtfertigt es, für den Austritt aus einem Arbeitgeberverband deutlich längere Kündigungsfristen zu akzeptieren als für den Austritt aus einer Gewerkschaft.
2. Das satzungsmäßige Austrittsrecht aus einem Arbeitgeberverband mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahrs ist rechtmäßig.
Normenkette
TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3; BGB § 39
Verfahrensgang
ArbG Neunkirchen (Urteil vom 23.01.2003; Aktenzeichen 3 Ca 1958/2000) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 23. Januar 2003 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Neunkirchen (3 Ca 1958/2000) wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts unter Ziffer 1 des Urteilstenors dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin für die Monate August, September, Oktober und November 2000 jeweils 50,11 EUR brutto zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem Diskontüberleitungsgesetz, und zwar aus 50,11 EUR brutto vom 1. bis zum 30. September 2000, aus 100,22 EUR brutto vom 1. bis zum 31. Oktober 2000, aus 150,33 EUR brutto vom 1. bis zum 30. November 2000 und aus 200,44 EUR brutto vom 1. Dezember 2000 bis zum 31. Dezember 2001, und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB aus 200,44 EUR brutto seit dem 1. Januar 2002 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin war seit 1988 bei der Beklagten, einem Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, als Chemielaborantin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 31. März 2001. Unter Ziffer 1 Absatz 3 des Arbeitsvertrages vom 21. März 1988 (Blatt 4 ff der Akten) heißt es:
„Für das Arbeitsverhältnis gelten in ihrer jeweiligen Fassung die tariflichen Bestimmungen für die Arbeiter der chemischen Industrie im zuständigen Tarifgebiet, die Arbeits- und Betriebsordnung sowie die sonstigen Betriebsvereinbarungen und betrieblichen Regelungen, soweit im folgenden nichts anderes vereinbart ist.”
Die Klägerin ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Die Beklagte gehörte seit 1980 dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. an. Seit ihrer Einstellung bei der Beklagten erhielt die Klägerin eine Vergütung nach den zwischen diesen Tarifvertragsparteien vereinbarten Tarifverträgen. Mit einem neuen Tarifvertrag vom 15. Mai 2000 vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine Erhöhung der Löhne um 2,2 Prozent ab dem 1. August 2000 sowie eine weitere Erhöhung um 2 Prozent ab dem 1. August 2001. Bestandteil des Tarifvertrages sind Entgelttabellen, in denen die neuen Entgeltsätze für die jeweiligen Entgeltgruppen beziffert bezeichnet sind. Der neue Tarifvertrag sollte am 1. August 2000 in Kraft treten und erstmals zum 30. April 2002 gekündigt werden können.
Die tarifliche Lohnerhöhung zum 1. August 2000 gab die Beklagte nicht an die Klägerin weiter. Sie begründete dies damit, dass sie aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sei. Ihre Mitgliedschaft in dem Arbeitgeberverband der Chemischen Industrie Saarland e.V. hatte die Beklagte mit einem an den Arbeitgeberverband gerichteten Schreiben vom 25. Oktober 1999 (Blatt 57 der Akten) gekündigt, und zwar zum „nächstmöglichen Termin”. Mit dem Antwortschreiben vom 28. Oktober 1999 (Blatt 85 der Akten) bedauerte der Arbeitgeberverband die Kündigung der Beklagten und teilte weiter mit, der nächstmögliche Termin sei nach seiner Satzung der 31. Dezember 2000.
§ 5 Ziffer 4 der Satzung des Arbeitgeberverbandes (Blatt 12 der Akten) hat folgenden Wortlaut:
„Ein Mitglied kann nur zum Schluss eines Kalenderjahres aus dem Verband freiwillig ausscheiden. Die Kündigung muss bis zum 30. VI. durch eingeschriebenen Brief erfolgen.”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr ab dem 1. August 2000 der erhöhte Tariflohn zustehe. Der Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband sei erst zum 31. Dezember 2000 wirksam geworden. Der neue Tarifvertrag sei aber vorher geschlossen worden. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Monate August, September, Oktober und November 2000 jeweils 50,11 EUR (98 DM) brutto zuzüglich 4 Prozent Zinsen aus 50,11 EUR brutto vom 1. bis zum 30. September 2000, aus 100,22 EUR brutto vom 1. bis zum 31. Oktober 2000, aus 150,33 EUR brutto vom 1. bis zum 30. November 2000 und aus 200,44 EUR brutto seit dem 1. Dezember 2000 zu zahlen. Weiter hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Dezember 2000 bis einschließlich März 2001 eine Vergütung in Höhe von monatlich 4.573 DM (2.338,14 EUR) brutto zu zahlen; auf diesen Be...