Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit der Schulung einer Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung. Unbegründeter Antrag der Schwerbehindertenvertretung bei unzureichenden Darlegungen zum Schulungsbedarf durch Teilnahme am "Tag der Schwerbehinderten" zur Weiterbildung in Verhandlungs- oder Gesprächsführung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Schwerbehindertenvertretung (§ 94 SGB IX) ist unabhängig vom Betriebsrat eine Sondervertretung aller im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen einschließlich der leitenden Angestellten und kann unabhängig vom Betriebsrat gegenüber der Arbeitgeberin Ansprüche (gerichtlich) geltend machen (§ 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG).
2. Im Allgemeinen ist die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Schulungsveranstaltungen dann erforderlich im Sinne des § 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten betrieblichen Situation benötigt wird, um die derzeitigen oder demnächst anfallenden Arbeiten sachgerecht wahrnehmen zu können; hierzu bedarf es regelmäßig der Darlegung eines aktuellen, betriebsbezogenen Anlasses, um annehmen zu können, dass die auf der betreffenden Schulungsveranstaltung zu erwerbenden Kenntnisse derzeit oder in naher Zukunft von der zu schulenden Person benötigt werden, damit diese ihre Aufgaben sach- und fachgerecht ausüben kann.
3. Nach dem Besuch von bereits vier Seminaren durch die Vertrauensperson nach deren Wahl im Februar 2011 im Zeitraum von Anfang Mai 2011 bis Ende April 2012 ist im Einzelfall davon auszugehen, dass für den Erwerb weiterer Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Gesprächsführung, Kommunikation und Rhetorik sowie Auftritt, soweit dies tatsächlich erforderlich ist, ein darauf ausgerichtetes spezielles Seminar sinnvoller ist als der "Tag der Schwerbehindertenvertretung"; das gilt jedenfalls dann, wenn zeitnah bereits vier verschiedene Veranstaltungen oder Seminare von der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung besucht worden sind, so dass ein etwaiger weiterer oder zusätzlicher Schulungsbedarf der Vertrauensperson wirkungsvoller in einer Spezialveranstaltung bearbeitet werden kann, die sich etwa mit Rhetorik und Verhandlungs- oder Gesprächsführung auseinandersetzt.
Normenkette
SGB IX § 96 Abs. 4, 8 S. 1, Abs. 4 S. 3; ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 3a
Verfahrensgang
ArbG Stendal (Entscheidung vom 21.03.2013; Aktenzeichen 1 BV 1/13) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beschwerde der zu 1. beteiligten Schwerbehindertenvertretung gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stendal vom 21.03.2013 - 1 BV 1/13 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
Im Februar 2011 wurde der Arbeitnehmer B im Betrieb der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin zur Vertrauensperson der zu 1. beteiligten Schwerbehindertenvertretung gewählt.
Die Beteiligten zu 1. und 2. streiten darüber, ob die Teilnahme der Vertrauensperson B an einer Veranstaltung vom 14. Mai bis 16. Mai 2012 in B als Schulung erforderlich ist und die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin die zu 1. beteiligte Schwerbehindertenvertretung von den Schulungskosten in Höhe von 790,00 Euro freizustellen hat sowie die von der Vertrauensperson B verauslagten Hotelkosten in Höhe von 328,80 Euro und Fahrkosten in Höhe von 150,60 Euro zu erstatten hat.
Die Vertrauensperson B nahm seit ihrer Wahl im Februar 2011 an folgenden Seminaren teil:
- Schwerbehindertenvertretung Teil I vom 02.05 bis 06.05.2011 in B mit dem Inhalt:
- Arbeiten mit dem Sozialgesetzbuch IX
Õ Gesetze sicher anwenden
Õ das SGB IX im Überblick
- Der zu betreuende Personenkreis
Õ Wann liegt eine Behinderung vor?
Õ Wer ist schwerbehindert?
Õ Was heißt Gleichstellung?
- Persönliche Rechte im Amt der Schwerbehindertenvertretung
Õ Wahl und Amtszeit
Õ Ungestörte Amtsausübung
Õ Der besondere Kündigungs- und Versetzungsschutz als Amtsträger
Õ Arbeitsbefreiung für Schwerbehindertenvertreter -Aufgaben
Õ Der Schulungsanspruch der Schwerbehindertenvertretung
Õ Zu beachtende Besonderheiten bei Stellvertretern
- Die Arbeit in der Schwerbehindertenvertretung richtig organisieren
Õ Welche Ausstattung braucht die Schwerbehindertenvertretung und was zahlt der Arbeitgeber?
Õ Die Sprechstunde und weitere wichtige Termine der Schwerbehindertenvertretung
Õ Die Schwerbehindertenversammlung
- Interne und externe Partner der Schwerbehindertenvertretung
- Die Arbeit eines Schwerbehindertenvertreters im Überblick
Õ Bei der Einstellung von schwerbehinderten Menschen mitwirken
Õ Informations- und Anhörungsrechte wahrnehmen
Õ Arbeitsplätze behinderungsgerecht gestalten
Õ Stellungnahme im Kündigungsverfahren abgeben
Õ Integrationsvereinbarungen abschließen
Õ Prävention fördern
Õ Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat/Personalrat
- Schwerbehindertenvertretung Teil II vom 15.08. bis 19.08.2011 in H mit dem Inhalt:
- Zwischen professioneller Beratung und persönlicher Betroffenheit (1 Tag)
Õ Definition der eigenen Rolle
Õ Erwartungen des Ratsuchenden klären
Õ Aktives Zuhören und Fragetechnik
Õ ...