Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe. Fahrtkosten. auswärtiger Rechtsanwalt. fiktive Fahrtkostenerstattung i. H. der Kosten für einen Verkehrsanwalt
Leitsatz (amtlich)
1. Ein nicht im Bezirk des angerufenen Arbeitsgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann gemäß § 121 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 3 ArbGG – auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzung für die Gestellung eines Verkehrsanwaltes – im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.
2. Weitere Kosten i. S. v. § 121 Abs. 3 ZPO entstehen grds. dann nicht, wenn die Entfernung seines Kanzleisitzes zum angerufenen Arbeitsgericht oder – im Falle eines Gerichtstages zum Sitz des Gerichtstages – kürzer ist als die größtmögliche Strecke eines Ortes innerhalb des Bezirkes des angerufenen Arbeitsgerichts zum Sitz des Gerichtes oder – im Falle eines Gerichtstages zum Sitz dieses Gerichtstages –.
3. Darüber hinaus kann eine Erstattung von Fahrtkosten eines nicht im Bezirk des angerufenen Arbeitsgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe begrenzt auf die fiktiven Kosten für einen Verkehrsanwalt erfolgen, wenn die Voraussetzungen für die Gestellung eines Verkehrsanwaltes i. S. v. § 121 Abs. 4 ZPO gegeben sind.
4. Die Voraussetzungen für die Gestellung eines Verkehrsanwaltes i. S. v. § 121 Abs. 4 ZPO sind jedenfalls gegeben, wenn die Entfernung vom Sitz der Kanzlei des auswärtigen Wahlanwaltes zum Sitz des Gerichtes oder – im Falle eines Gerichtstages zum Sitz des Gerichtstages – 239 km beträgt und eine Fahrtdauer von rd. 4 Std. nötig gemacht hätte, um einen Anwalt am Ort des Gerichtstages zu kontaktieren und wenn es sich inhaltlich um eine Problematik handelt, die eine schriftliche oder telefonische Beauftragung nicht angezeigt erscheinen lässt. Im Falle einer kombinierten Kündigungsschutz/Überstundenklage ist in der Regel eine solche schriftliche oder telefonische Beauftragung eines Anwaltes am Sitz des Gerichtstages nicht angezeigt.
Normenkette
ZPO §§ 114, 121 Abs. 3-4; ArbGG § 11a Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Magdeburg (Beschluss vom 29.10.2010; Aktenzeichen 7 Ca 1904/10 HBS (PKH)) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 15. 11. 2010 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 29. 10. 2010 in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 23. 11. 2010 – 7 Ca 1904/10 Hbs (PKH) – abgeändert. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwältin H. C., S., mit der Einschränkung beigeordnet, dass deren Reisekosten zum Gerichtstag des Arbeitsgerichts Magdeburg in Halberstadt bis zur Höhe der fiktiven Kosten für einen Verkehrsanwalt erstattungsfähig sind.
2. Das sofortige Beschwerdeverfahren ergeht gerichtskostenfrei.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer begehrt die Beiordnung von Rechtsanwältin C. aus S. nicht nur hinsichtlich der Fahrtkosten für 97 km pro Geschäftsreise seiner Prozessbevollmächtigten, sondern hinsichtlich der vollständigen Geschäftsreise von S. nach H. und zurück.
Der Beschwerdeführer ist in G. bei S. wohnhaft. Seine Prozessbevollmächtigten sind in S. niedergelassen. Die kürzeste Entfernung von S. nach H. beträgt 239 km. Der Beschwerdeführer klagt gegen eine Firma in S.. Inhaltlich geht es um eine ordentliche Kündigung vom 10. 06. 2010 zum 27. 06. 2010, um einen allgemeinen Feststellungsantrag bzgl. evtl. weiterer Beendigungstatbestände sowie um Zahlung von Überstunden in Höhe von 6.284,80 EUR und um ein Zwischenzeugnis sowie hilfsweise um ein endgültiges Zeugnis und – falls die Beklagte im Gütetermin nicht zu Protokoll des Gerichtes erklären sollte, dass sie den Beschwerdeführer weiter beschäftigen wird – um Weiterbeschäftigung des Beschwerdeführers im Fall eines stattgebenden Urteils über die Kündigung.
Mit Beschluss vom 29. 10. 2010 gewährte das Arbeitsgericht dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe im vollen Umfang mit Wirkung vom 19. 08. 2010. Zugleich wurde ihm Rechtsanwältin C. aus S. mit der Einschränkung beigeordnet, dass deren Reisekosten zum Arbeitsgericht nur bis zu einer Entfernung von 97 km pro Geschäftsreise zu Lasten der Landeskasse abrechenbar seien. Auf diesen Beschluss wird Bezug genommen.
Dieser Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 15. 11. 2010 zugestellt. Hiergegen haben diese mit am 15. 11. 2010 eingehenden Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Auf diesen Schriftsatz wird Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde ausweislich des Beschlusses vom 23. 11. 2010 nicht abgeholfen. Auf diesen Beschluss wird Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Die Landeskasse ist beteiligt worden.
Entscheidungsgründe
II.
Die sofortige Beschwerde ist erfolgreich.
1.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 127 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 3 ArbGG) und zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Die übrigen Formalien sind ebenfalls erfüllt.
2.
Die sofortige Beschwerde ist begründet. ...