Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug des Arbeitgebers bei regelmäßiger Anrechnung von Bereitschaftsdienststunden
Leitsatz (amtlich)
Die regelmäßige Anrechnung von Bereitschaftsdienststunden zum Ausgleich der wegen fehlender Zuweisung ausreichender Arbeitsstunden durch den Arbeitgeber nicht erreichten vertraglich vereinbarten Sollarbeitszeit kann Annahmeverzug des Arbeitgebers auslösen.
Normenkette
BGB §§ 611, 615
Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 28.06.2012; Aktenzeichen 1 Ca 3579/09) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 28. Juni 2012 - 1 Ca 3579/09 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung von im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes geleisteter Arbeitsstunden.
Bei dem Beklagten handelt es sich um eine Einrichtung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, der in ......... u. a. ein Krankenhaus, zwei Altenheime, ein Ausbildungszentrum und eine Kindertagesstätte betreibt.
Die am 20. Juli..... geborene Klägerin war vom 1. Juli 1995 bis zum 31. Dezember 2007 in dem von dem Beklagten in .......... betriebenen Krankenhaus als Oberärztin in der Abteilung Interdisziplinäre Intensivmedizin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die Parteien einvernehmlich aufgehoben (Aufhebungsvertrag vom 26.09.2007). Die monatliche Vergütung der Klägerin belief sich zuletzt auf 4.967,78 € brutto zuzüglich einer Zulage in Höhe von 1.000,00 € ab 1. September 2007.
Die rechtliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien bildete der Dienstvertrag vom 20. April 1995. Dieser Vertrag lautet auszugsweise:
"§ 1
Frau Dipl.-Med. ...... wird ab 01.07.1995 auf unbestimmte Zeit als Oberärztin Abt. Interdisziplinäre Intensivmedizin angestellt. ........
§ 2
Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich Pausen durchschnittlich 40 Stunden = 100%.
Angeordnete Überstunden werden möglichst durch Freizeit abgegolten. Der Mitarbeiter verpflichtet sich, im Falle betrieblicher Notwendigkeiten auch andere Tätigkeiten im Evang. Diakoniewerk als die vertraglich vereinbarten ohne Gehaltsänderung zu übernehmen.
§ 3
Frau Dipl.-Med. Peter erhält eine Vergütung nach Vergütungsgruppe AVR Gruppe I a.
Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen des .... der Evang. Kirche in Deutschland - Fassung Ost - einschließlich der jeweils in Kraft gesetzten Nachträge.
Die Einordnung der finanziellen Vergütung erfolgt in Anlehnung an die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages einschließlich der zusätzlichen Tarifverträge, soweit dort nicht Leistungen enthalten sind, die über diesen Dienstvertrag hinausgehen.
Für Mitarbeiter im kirchlichen Dienst gilt die Kirchliche Vergütungsordnung mit ihren Anlagen in der jeweils gültigen Fassung."
Die Klägerin leistete auf Anordnung des Beklagten regelmäßig Bereitschaftsdienste. Der Beklagte berücksichtigte die Zeit des Bereitschaftsdienstes gemäß der Anlage 8 A. Abs. 3 zu den AVR DW EKD im Umfang von 80% als Arbeitszeit und verwendete einen Teil davon zum Ausgleich von Arbeitsstunden, die im laufenden Monat zur Erreichung der Soll-Arbeitszeit fehlten. Die vom Beklagten im jeweiligen Monat für die Klägerin angeordneten planmäßigen Dienste füllten die vertragliche Soll-Arbeitszeit in der Regel nicht aus. Die vom Beklagten für die Klägerin in den Monaten Juli bis Oktober 2007 und im Dezember 2007 angeordneten Dienste teilten sich wie folgt auf:
|
Soll-Arbeitszeit |
tatsächliche Soll-Arbeitszeit |
Bereitschaftsdienststunden |
Juli 2007 |
176 Stunden |
107,5 Stunden |
108,0 Stunden |
August 2007 |
184 Stunden |
119,0 Stunden |
107,0 Stunden |
September 2007 |
160 Stunden |
119,5 Stunden |
54,0 Stunden |
Oktober 2007 |
168 Stunden |
124,5 Stunden |
68,0 Stunden |
Dezember 2007 |
136 Stunden |
75,0 Stunden |
113,5 Stunden |
Für die zur "Auffüllung" der Soll-Arbeitszeit erforderlichen Bereitschaftsdienststunden zahlte der Beklagte der Klägerin 28,09 € brutto pro Stunde. Für die darüber hinaus geleisteten Bereitschaftsdienste zahlte er 34,87 € brutto pro Stunde.
Mit Schreiben vom 06.03.2007 forderte die Klägerin den Beklagten - erstmals - auf, sämtliche im Monat Januar 2007 geleistete Bereitschaftsdienststunden als solche zu vergüten. Der Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, "die Klägerin habe im Zusammenhang mit den geleisteten Bereitschaftsdiensten in erheblichem Umfang Freizeitausgleich in Anspruch genommen, wodurch die tariflich vorgegebene Soll-Arbeitszeit im Januar 2007 erheblich unterschritten worden sei" (Schreiben vom 22.03.2007, Bl. 342, 343 d. A.). Mit Schreiben vom 08.12.2007 wies die Klägerin den Beklagten darauf hin, dass ihr entgegen den Regelungen in der Anlage 8 zu den AVR DW EKD von den in den Monaten Juli bis Oktober 2007 geleisteten Bereitschaftsdienststunden 261,25 Stunden fälschlicherweise als "Auffüllstunden" vergütet worden seien, und forderte ihn au...