Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung. Einsicht unzulässiger erzieherischer Maßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
Zweifelsfrei stellt die Handlung einer angestellten Lehrerin, zwei Schülern der damaligen ersten Klasse zum Zweck der Disziplinierung einen Tesafilmstreifen von etwa 2 cm Breite und 5 cm Länge über den Mund zu kleben, einen Verstoß gegen ihre Pflichten als Lehrerin dar und gehört ein derartiges „Überkleben” des Munds eines Schülers nicht zu den nach § 44 Abs. 4 SchulG LSA und dem Runderlass des Kultusministeriums des beklagten Lands vom 26.05.1994 zulässigen Erziehungsmaßnahmen. Es liegt zweifelsfrei ein vorwerfbares vertragswidriges Verhalten vor. Dennoch kann es an der für die verhaltensbedingte Kündigung erforderlichen negativen Prognose fehlen.
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Dessau (Urteil vom 13.01.2010; Aktenzeichen 1 Ca 222/09) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Januar 2010 – 1 Ca 222/09 – wird
z u r ü c k g e w i e s e n. |
2. Die Kosten der Berufung trägt das beklagte Land.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.
Die am 00.00. 1969 geborene und verheiratete Klägerin ist seit dem 1. Juli 1991 bei dem beklagten Land als Lehrkraft angestellt. Zuletzt war sie als Grundschullehrerin in der Grundschule K. in D. tätig. Die rechtliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses bildet der Arbeitsvertrag der Parteien vom 16.09.1991. Das monatliche Gehalt der Klägerin hat zuletzt 3.026,21 EUR brutto betragen.
Das beklagte Land erlangte am 9. Februar 2009 Kenntnis davon, dass Eltern, deren Kinder die Grundschule D.-K. besuchen, der Klägerin vorwerfen, sie habe zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt im Schuljahr 2008/2009 zwei Schülern der damaligen ersten Klasse den Mund mit Bürotesafilmband zugeklebt, weil diese zuvor den Unterricht gestört hätten, und sich ein ähnlicher Vorfall an einer Schülerin zwei Jahre zuvor ereignet habe.
Das beklagte Land hörte die Klägerin am 10. Februar 2009 zu den Vorwürfen an. Die Klägerin räumte ein, dass das Aufkleben des Tesafilms bei den beiden Schülern im Schuljahr 2008/2009 kein geeignetes Erziehungsmittel gewesen sei. Das beklagte Land stellte die Klägerin am 10. Februar 2009 mit sofortiger Wirkung von ihrer Tätigkeit als Lehrkraft frei. Die Schüler Eric D., Hanna L. und Paul P. wurden am 13. Februar 2009 durch die Schulpsychologin Dr. M. in Anwesenheit der schulfachlichen Referentin G. befragt.
Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 23. Februar 2009 fristlos. Durch Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 7. August 2009 – 11 Ca 104/09 – wurde festgestellt, dass diese außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat. Das Urteil ist rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 17.02.2009 unterrichtete das beklagte Land den zuständigen Lehrerbezirkspersonalrat darüber, dass beabsichtigt sei, der Klägerin hilfsweise eine ordentliche Kündigung auszusprechen, und ersuchte um Zustimmung zu dieser Maßnahme. Sowohl der Lehrerbezirkspersonalrat (Schreiben vom 11.03.2009) als auch der Lehrerhauptpersonalrat (Schreiben vom 03.03. 2009) verweigerte die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Die daraufhin angerufene Einigungsstelle beim Kultusministerium des beklagten Landes sprach in ihrer Sitzung am 19. Mai 2009 die Empfehlung aus, das Arbeitsverhältnis der Klägerin unter Einhaltung der Kündigungsfrist zum 31. Dezember 2009 zu kündigen.
Mit Schreiben vom 03.06.2009 des Landesverwaltungsamtes, der Klägerin am 6. Juni 2009 zugegangen, hat das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich zum 31. Dezember 2009 gekündigt. Zur Begründung der Kündigung heißt es im Kündigungsschreiben:
„Begründung:
Ich werfe Ihnen vor, in drei Fällen unangemessene Erziehungsmittel angewendet zu haben.
Als Lehrerin der Grundschule K.
oblag es Ihnen, die Ihnen anvertrauten Schüler und Schülerinnen im Rahmen des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages zu unterrichten. Sie übten eine Funktion aus, die sie grundsätzlich berechtigte, auch erzieherisch auf Schüler und Schülerinnen einzuwirken.
Gemäß RdErl. des MK vom 26.05.1994 „Erziehungsmittel in der Schule” kann die Schule gegenüber Schülern Maßnahmen ergreifen, sofern diese die ihnen obliegenden Verhaltenspflichten verletzen oder einen geordneten Schulbetrieb beeinträchtigen. Die im Unterricht und im Schulbetrieb auftretenden Konflikte zwischen Lehrern und Schülern sollen hierbei durch geeignete Maßnahmen gelöst werden. Ungeeignete Erziehungsmittel sind hingegen ehrverletzende oder gewaltsame Handlungen.
Die Schüler Eric D., Hanna L. und Paul P. waren Ihnen im Unterricht anvertraut. Sie haben diesen Schülern ein durchsichtiges Tesaband im Bereich des Mundes aufgeklebt, um diese daran zu erinnern, dass der Unterricht nicht zu stören ist. Die Schüler...