Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Zulagen auf den Mindestlohn
Leitsatz (redaktionell)
1. Entgeltzahlungen des Arbeitgebers, die der Entlohnung von besonderen, über die Normalleistungen hinausgehenden Leistungen dienen, sind nicht auf den Mindestlohn anzurechnen, da sie nicht funktional äquivalent sind.
2. Die an einem Kraftfahrer gezahlte Prämie für Sauberkeit und Ordnung des Fahrzeugs sowie für die korrekte Abwicklung des Tausches von Paletten, Kisten und Haken stellt eine zusätzliche Leistung für die Normalleistung des Arbeitnehmers dar.
3. Eine sogenannte "Immerda-Prämie" stellt hingegen keine Honorierung für die Normalleistung dar, sondern soll die durchgängige Anwesenheit des Arbeitnehmers gewährleisten und ihn dazu anhalten, auch bei leichteren Unpässlichkeiten nicht zu Hause zu bleiben und sich krank zu melden.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1; MiLoG § 1 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Entscheidung vom 24.02.2016; Aktenzeichen 3 Ca 1815/15 NMB) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts H. vom 24. 02. 2016 - 3 Ca 1815/15 NMB - bzgl. seiner Ziffern 2. und 4. abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 66,80 € brutto nebst Zinsen i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11. 2015 zu zahlen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreites haben der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10 zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten sich im bestehenden Arbeitsverhältnis über Ansprüche des Klägers auf Nachzahlung von (Mindestlohn-)Arbeitsvergütung für die Monate Januar bis September 2015.
Der im ... geborene Kläger ist seit dem 15. 02. 2010 in anrechenbarer Weise bei der Beklagten bzw. der Rechtsvorgängerin - der Fa. W... GmbH - als Kraftfahrer beschäftigt. Der mit der Fa. W... GmbH geschlossene Arbeitsvertrag (Bl. 5 ff. d. A.) gilt auch bei der Beklagten gemäß § 613 a Abs. 1 ArbGG nunmehr als unbefristeter Arbeitsvertrag fort.
In § 4 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 15.02.2010 ist unter anderem vereinbart:
"...
§ 4 Entlohnung
Für seine Arbeit erhält der Mitarbeiter folgende Entlohnung:
Anfangsgehalt: |
1.295,00 € |
sowie eine IPD (Immerda-Prämie) in Höhe von |
180,00 € |
sowie O. u. S. (Ordnung u. Sauberkeit-Prämie) |
50,00 € |
Leergutprämie |
155,00 € |
plus Spesenabrechnung (bei Krankheit und Urlaub kein Anspruch) |
|
ab dem 4. Monat Grundgehalt |
1.400,00 € |
nach dem 1. Jahr Grundgehalt |
1.605,00 €. |
An dem Grundgehalt von 1.605,00 € brutto mtl. hat sich bisher nichts geändert. Auf das Arbeitsverhältnis findet kein Tarifvertrag Anwendung.
Die "Immerda-Prämie" wird für die lückenlose Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb gezahlt; sie wird insbesondere im Fall der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht gezahlt. Im Fall von Erholungsurlaubs hat der Kläger diese Prämie erhalten. Im Fall der Krankheit wurde die Entgeltfortzahlung ausschließlich nach dem Grundlohn errechnet.
Der Kläger transportierte als LKW-Fahrer auch loses Frischfleisch; daher muss der LKW aus hygienischen Gründen nach Gebrauch gereinigt werden. Aus diesem Grund trägt der Kläger bei den Kunden Dienstbekleidung, die von der Beklagten gestellt und gereinigt wird.
Bei den Kunden tauscht der Kläger u. a. Transportpaletten, Kisten und Haken. Gibt der Kunde solche Transportbehältnisse nicht im gleichen Umfang zurück, stellt er über die Differenz eine entsprechende Quittung aus.
Mit Wirkung vom 01. 09. 2011 kürzte die Beklagte die vereinbarte "Immerda-Prämie" i. H. v. 180,00 € brutto um 85,00 € brutto und zahlte fortan nur noch monatlich 95,00 € brutto. Mit Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 08. 06. 2015 (Bl. 14 d. A.) forderte der Kläger die Nachzahlung der "Immerda-Prämie" rückwirkend ab Januar 2011. Die Beklagte reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Am 18.08.2015 erhob der Kläger beim Arbeitsgericht Klage, in deren Rahmen er zunächst nur die Nachzahlung der "Immerda-Prämie" für den Zeitraum von Januar 2012 bis einschließlich Juli 2015 i. H. v. 95,00 € br. monatlich geltend machte. Im Rahmen einer Klageerweiterung vom 29.10.2015 verlangte er Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns ab dem 01. 01. 2015 i. H. v. 8,50 € brutto je Stunde. Insgesamt begehrte er für den Zeitraum von Januar bis September 2015 mit Ausnahme des Februars eine Mindestlohndifferenz i. H. v. 1.440,00 € brutto.
Der Kläger arbeitete in den Monaten Januar bis September 2015 jeweils 9,6 Stunden arbeitstäglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche (48 h/Woche). Im Januar und von März bis April sowie im Juni und September 2015 arbeitete er an 22 Arbeitstagen, im Mai und August 2015 an jeweils 21 Arbeitstagen und im Juli 2015 an 23 Arbeitstagen.
Soweit im Berufungsverfahren noch streitgegenständlich meint der Kläger, dass die in § 4 des Arbeitsvertrages vereinbarte monatliche "Immerda-Prämie" von 180,00 € brutto, die Prämie für Ordnung und Sauberkeit i. H. v. 50,...