Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung durch wiederholte Vergütungsanpassungen an entsprechende Tarifsteigerungen des TVöD ohne Vorbehalt und ohne Bezugnahme auf einen Haustarifvertrag

 

Leitsatz (redaktionell)

Gibt die Arbeitgeberin nach Abschluss eines Haustarifvertrages in einem Zeitraum von rund sechs Jahren acht Tariflohnerhöhungen gemäß den Entgelttabellen des TVöD jeweils pünktlich an die Beschäftigten ihres Klinikums weiter, entsteht eine entsprechende Anpassungspraxis aufgrund betrieblicher Übung; acht Vergütungsanpassungen in sechs Jahren ohne jeden Vorbehalt und ohne jedwede Bezugnahme auf den Haustarifvertrag zeugen von einer eindeutig gelebten und geübten Vertragspraxis und stellen hinreichende Anhaltspunkte dafür dar, dass die Arbeitgeberin die Tariflohnerhöhungen des TVöD dauerhaft übernehmen will.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 151, 157, 242, 611a

 

Verfahrensgang

ArbG Magdeburg (Entscheidung vom 08.08.2016; Aktenzeichen 2 Ca 184/16 HBS)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 19.02.2020; Aktenzeichen 5 AZR 180/18)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 08.08.2016 - 2 Ca 184/16 HBS - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die klagende Partei trotz des bestehenden Haustarifvertrages nach wie vor dynamisch Entgelterhöhungen gemäß den Entgelttabellen des TVöD weiterzugeben.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und der erstinstanzlichen Anträge der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 08. August 2016 - 2 Ca 184/16 HBS - auf den Seiten 2 bis 8 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Magdeburg hat der Klage durch sein vorgenanntes Urteil vom 08.08.2016 stattgegeben. Wegen des Tenors und der Gründe der vorgenannten Entscheidung des Arbeitsgerichts Magdeburg vom 08. August 2016 wird auf dessen Seiten 1 bis 2 und auf dessen Seiten 8 bis 15 verwiesen.

Das vollständig abgefasste und mit Rechtsmittelbelehrung versehene vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg wurde der Beklagten am 26. August 2016 zugestellt. Deren Berufungsschrift ist am 30. August 2016 und deren Berufungsbegründung - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. November 2016 - am 28. November 2016 beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt eingegangen.

Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz vorgetragen, das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Magdeburg sei rechtsfehlerhaft. Das Arbeitsgericht Magdeburg habe zu Unrecht angenommen, auf das Arbeitsverhältnis seien die aktuellen Entgelttabellen des TVöD gemäß § 15 TVöD anzuwenden. Dies habe das Arbeitsgericht Magdeburg mit einer betrieblichen Übung begründet. Diese Entscheidung halte einer Überprüfung nicht stand und sei zu korrigieren. Der maßgebliche Sachverhalt sei unstreitig. Die Beklagte habe mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am 31. Januar 2006 einen Haustarifvertrag abgeschlossen, der vom TVöD in verschiedenen Bereichen abweiche. Insbesondere sehe dieser Tarifvertrag besondere - und damit gegenüber dem TVöD speziellere und diesen verdrängende - Regelungen bezüglich der Vergütung vor. Die Tarifvertragsparteien hätten sich dabei auf eine statische Geltung der Entgelttabellen verständigt, die dem Haustarifvertrag als Anlage beigefügt und integraler Bestandteil dieses Tarifwerkes sei.

Die hier maßgebliche Tabelle 1 ("Tabelle TVöD") bestehe aus drei Seiten, die jeweils Entgeltbeträge konkret definieren würde. Die Entgelttabelle auf Seite 3 sei mit den Worten "gültig ab 01. Juli 2007" überschrieben. Nach Wortlaut und Systematik des Haustarifvertrages seien die Vergütungssteigerungen abschließend im Haustarifvertrag normiert; eine automatische dynamische Geltung des TVöD sei hiernach ausgeschlossen. Das bestätige auch die Protokollnotiz zum Tarifvertrag. Diese bringe deutlich zum Ausdruck, dass künftige Veränderungen neue Verhandlungen erfordern.

Daraus folge, dass eine dynamische Anpassung wie im öffentlichen Dienst gerade nicht gewollt und auch nicht vereinbart worden sei. Deshalb habe die Beklagte auch den Flächentarifvertrag durch Abschluss eines Haustarifvertrages verlassen. Lediglich in schlichter Verkennung des Regelungsgehaltes des Tarifvertrages habe sie, die Beklagte, in der Folgezeit gleichwohl Anpassungen an Tarifsteigerungen des TVöD vorgenommen, nämlich - und das ist unstreitig - acht Tarifsteigerungen in sechs Jahren. Dazu hat die Beklagte ausgeführt, in den Verdienstabrechnungen der Mitarbeiter/innen sei dabei stets ausdrücklich vermerkt worden, dass die Beklagte das Entgelt nach dem Tarifvertrag abrechne und zur Auszahlung bringe. Von (freiwilligen) übertariflichen Leistungen, auf die kein Anspruch bestehe, sei nie die Rede gewesen. Sie habe die klagende Partei auch nicht unterstellen können. Im Gegenteil: In Ermangelung abweichender Anhaltspunkte sei stets davon auszugehen, dass sie, die Beklagte, mit ihren Zahlungen "nur" di...

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