Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsinteresse des Betriebsrats bei abgeschlossenem Vorgang. Feststellungsantrag. Warnstreik. Gleitzeitkonto
Leitsatz (redaktionell)
1. Dem Antrag des Betriebsrats auf Feststellung, dass der Arbeitgeber nicht berechtigt war, für die Zeiten der Teilnahme von Arbeitnehmern an Warnstreikkundgebungen bei Bedienung der Zeiterfassungsgeräte Änderungen in der Zeiterfassung vorzunehmen, ist mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Mit diesem Antrag geht es dem Betriebsrat letztlich nur darum, an einen abgeschlossenen Sachverhalt anknüpfend, eine rechtliche Beurteilung bezüglich der Rechtswidrigkeit des Vorgehens des Arbeitgebers zu erhalten.
2. Durch die Teilnahme an einem rechtmäßigen Arbeitskampf werden die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert. Ein Arbeitnehmer, der am Streik teilnimmt, ist aufgrund der Streikteilnahme nicht mehr zur Arbeitsleistung verpflichtet und verliert auf der anderen Seite den Anspruch auf das Entgelt für die Zeit der Streikteilnahme.
Normenkette
ZPO § 256; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Beschluss vom 19.11.2002; Aktenzeichen 3 BV 63/02) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin (Antragsgegnerin) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 19. November 2002 – 3 BV 63/02 – abgeändert.
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Anwendung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit anlässlich von stattfindenden Warnstreiks. Der Antragsteller ist der im Betrieb der Antragsgegnerin (Arbeitgeberin) gebildete Betriebsrat.
Unter dem 6. August 1998 schlossen Arbeitgeberin und Betriebsrat die Betriebsvereinbarung „Eigenverantwortliche, flexible Arbeitszeit (EFA)”. Ziel der Betriebsvereinbarung ist es, für alle Beteiligten einen möglichst großen Freiraum für eine jeweils situationsbezogene Ausgestaltung der Arbeitszeit zu schaffen, und zwar unter Minierung des Verwaltungsaufwandes.
Zur Arbeitszeitlage haben die Betriebsparteien in dieser Betriebsvereinbarung u. a. Folgendes geregelt:
„3.1 Betriebsöffnung
Der Betrieb ist von Montag bis Samstag im Zeitraum von 06:00 Uhr – 20:00 Uhr geöffnet.
3.2 Regelarbeitszeit
Die Regelarbeitszeit beträgt 5 Tage pro Woche von Montag bis Freitag.
…
Die Lage der Arbeitstage ist von jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter frei wählbar.
3.3 Normalarbeitszeit
Die Normalarbeitszeit ist einheitlich auf 08:00 Uhr – 15:45 Uhr festgelegt. Bei 40-Stunden-Verträgen endet die Normalarbeitszeit um 16:45 Uhr.
…
3.5 Arbeitszeitdauer
Die Dauer der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ergibt sich aus dem Tarifvertrag und dem Arbeitsvertrag.”
Zur Handhabung heißt es in dieser Betriebsvereinbarung unter Punkt 4.1 „Betriebliche Ziele/persönliche Interessen:
„Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bzw. jede Gruppe steuert unter Einhaltung der gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Regelung eigenverantwortlich die Arbeitszeit (einschl. Urlaub) so, dass die betrieblich vorgegebenen Ziele erreicht werden und die individuellen Bedürfnisse dabei Berücksichtigung finden.”
Unter Punkt 5.2 „Speichergrenzen” vereinbarten die Betriebsparteien, zur Flexibilisierung der Arbeitszeit werde ein individueller Zeitspeicher geführt, dessen Volumen ohne zeitliche Beschränkung des Übertragungszeitraumes bei Vollzeit im Maximum + 150 Stunden und im Minimum – 150 Stunden betragen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Betriebsvereinbarung wird Bezug genommen auf die zur Akte gereichte Kopie (Bl. 7 – 12 d. A.).
Am 11. und 17. April 2002 fanden in L. im Rahmen der Lohnauseinandersetzungen im Bereich der Metallindustrie Warnstreikkundgebungen statt. An diesen Veranstaltungen, die etwa eine bzw. zwei Stunden dauerten, nahmen auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Arbeitgeberin teil. Ein Teil dieser Mitarbeiter legte die Arbeit nieder, meldete sich ab und streikte, ohne zuvor sich an den Zeiterfassungsgeräten ausgestempelt zu haben. Ein anderer Teil legte die Arbeit ebenfalls nieder, stempelte am Zeiterfassungsgerät aus, nahm an den Warnstreikkundgebungen teil, stempelte nach deren Beendigung wieder ein und setzte die Arbeit fort. Einige wiederum stempelten vor Beginn der Warnstreikkundgebungen aus, nahmen daran teil und gingen nach deren Beendigung nicht wieder zur Arbeit. Eine vierte Gruppe von Mitarbeitern wiederum hatte die Arbeit vor Beginn der Warnstreikkundgebungen noch nicht aufgenommen, nahm zunächst an den Warnstreikkundgebungen teil, stempelte nach deren Beendigung ein und nahm die Arbeit auf.
Das bei der Arbeitgeberin installierte Zeiterfassungs-/Abrechnungssystem erfasst automatisch die durch Ein- und Ausstempeln dokumentierten Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter. Die daraus folgende Ist-Arbeitszeit gleicht es mit der Soll-Arbeitszeit ab, die tariflich 7 Stunden pro Tag beträgt.
Die Arbeitgeberin ermittelte unter ihren Mitarbeitern die Teilnehmer an den Warnstreikkundgebungen...