Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Abstimmung in Betriebsteil zur Teilnahme an Betriebsratswahl im Hauptbetrieb bei überlanger Abstimmungsdauer und unwirksamer Beschlussfassung. Anträge des Betriebsrats zur Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Abstimmung in einem Betriebsteil über die Teilnahme zur Wahl am Hauptbetrieb nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist in Betriebsteilen, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfüllen, unabhängig von der Zahl der (mehr als 5) Beschäftigten zulässig, auch in Betriebsteilen mit 240 Arbeitnehmern und mehr.
2. Der Abstimmung steht der Umstand, dass die Arbeitnehmer bei der letzten BR-Wahl (rechtswidrig) an der nicht angefochtenen Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilgenommen haben, nicht entgegen.
3. Diese Abstimmung muss entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht in einer Betriebsversammlung stattfinden.
4. Die Abstimmung ist jedoch unwirksam, wenn sie über einen Zeitraum von mehr als 4 Wochen ausgedehnt wird und Stimmen solange zugelassen werden, bis die notwendige Mehrheit für die Teilnahme an der BR-Wahl zum Hauptbetrieb erreicht ist.
5. Findet die Abstimmung gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auf Initiative des BR des Hauptbetriebs statt, bedarf es zu ihrer Rechtmäßigkeit eines wirksamen BR-Beschlusses.
6. Wird bei dieser Beschlussfassung ein Ersatzmitglied des BR nicht zur Sitzung geladen, ist der Beschluss nur dann rechtmäßig, wenn das Ersatzmitglied unmissverständlich erklärt hat, nicht in den BR nachrücken zu wollen.
7. Es bleibt unentschieden, ob der BR dessen Wahl erfolgreich angefochten worden ist, vor Rechtskraft des Beschlusses einen Wahlvorstand für die Neuwahl eines BR bestimmen kann, ohne selbst seinen Rücktritt zu erklären.
Normenkette
BetrVG § 1 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1 Sätze 1-3, § 18 Abs. 2; BGB § 622 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 24.10.2012; Aktenzeichen 4 BV 29/12) |
Tenor
Die Beschwerde von Betriebsrat und Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 24.10.2012 - 4 BV 29/12 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl sowie darüber, ob an einzelnen Standorten ein eigener Betriebsrat zu wählen ist.
Die Beteiligte zu 3. (Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen der Gebäudereinigung mit Hauptsitz in L.. Sie betreibt bundesweit 25 Dienststellen und Standorte, darunter einen Standort in F. und einen in H..
Der Standort F. ist 160 Kilometer vom Hauptsitz entfernt. Die Fahrtzeit zum Standort mit dem Pkw beträgt für die einfache Strecke ca. 2 Stunden. Im Juli 2009 waren dort 243 Mitarbeiter beschäftigt.
Der Standort in H. ist 134 Kilometer vom Hauptsitz entfernt. Die Fahrtzeit zum Standort mit dem Pkw für die einfache Strecke beträgt ebenfalls ca. 2 Stunden. Im Juli 2009 waren dort 307 Mitarbeiter beschäftigt.
Beide Standorte werden jeweils von einem Niederlassungsleiter geführt. Ferner sind dort kaufmännische Mitarbeiter (technische Bereichsleiter, Objektleiter, Innendienstmitarbeiter) sowie gewerblich Beschäftigte (Reinigungskräfte) tätig. Die Niederlassung ist zur Einstellung gewerblich Beschäftigter berechtigt. Die weiteren Befugnisse des Niederlassungsleiters sind zwischen den Beteiligten streitig.
Aufgrund einer Vorgabe der Geschäftsleitung sind die Büros der Standorte bundesweit von Montag bis Freitag von 08:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Die Arbeitszeit der gewerblichen Mitarbeiter richtet sich nach den Vorgaben der Kunden für die einzelnen zu reinigenden Objekte.
An der Wahl des Beteiligten zu 2. (Betriebsrat) im Jahr 2006 am Hauptsitz in L. wurden bundesweit alle Beschäftigten beteiligt. Der Betriebsrat besteht aus 29 Mitgliedern. Die Wahl wurde nicht angefochten.
Im Juli 2009 fand nach der bestrittenen Behauptung von Arbeitgeberin und Betriebsrat eine Abstimmung nach § 4 Abs. 1 S. 2 BetrVG in den Niederlassungen F. und H. statt.
An der Betriebsratswahl am 08.06.2010 am Hauptsitz L. nahmen wiederum auch die Arbeitnehmer der Standorte F. und H. teil. Die Wahl wurde angefochten. Mit Beschluss vom 15.09.2011 erklärte das LAG Schleswig-Holstein die Wahl für unwirksam (5 TaBV 3/11). Gegen den Beschluss wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Am 15.11.2011 fand eine Betriebsratssitzung statt. Unter dem Tagesordnungspunkt "Verschiedenes" schlug die Betriebsratsvorsitzende den anwesenden 16 Betriebsratsmitgliedern vor, einen Wahlvorstand für eine Neuwahl des Betriebsrats zu wählen, um unverzüglich Neuwahlen einzuleiten. Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und ebenfalls einstimmig ein Wahlvorstand gewählt. Seinen Rücktritt beschloss der Betriebsrat nicht.
Durch Beschluss vom 03.01.2012 verwarf das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des LAG vom 15.09.2011. Am 17.04.2012 fand darauf die im vorliegenden Verfahren neben anderem streitgegenständliche Betriebsratswahl am Hauptsitz in L. statt, an der auch die Arbeitnehmer der Niederlassungen F...