Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens. Alleinentscheidungsrecht des Vorsitzenden. mündl. Verhandlung. pflichtgemäßes Ermessen. Verfahrensverbindung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO unterliegt grundsätzlich nicht dem Alleinentscheidungsrecht des Kammervorsitzenden des Arbeitsgerichts. Die weitreichenden – und regelmäßig für wenigstens eine der Parteien nachteiligen – Folgen einer Aussetzung im Hinblick auf den Verfahrensfortgang und die wegen der notwendigen „Vorgreiflichkeit” meist erforderliche materiell-rechtliche Prüfung des Streitstoffs lassen grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vor der Kammer geboten erscheinen.
Eine Befugnis des Vorsitzenden, außerhalb der mündlichen Verhandlung allein zu entscheiden, kann deshalb nur in den Fällen notwendiger Aussetzung (z. B. § 97 Abs. 5 ArbGG) oder bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien anerkannt werden.
Unberührt bleibt außerdem das Alleinentscheidungsrecht des Vorsitzenden nach mündlicher Verhandlung, wenn die Parteien ihn hierzu gemäß § 55 Abs. 3 ArbGG ermächtigt haben.
2. Die Aussetzung des Rechtsstreits liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und darf nicht der Prozeßverschleppung Vorschub leisten. Grundsätzlich ist dem für das arbeitsgerichtliche Verfahren maßgeblichen Beschleunigungsgrundsatz (§§ 9 Abs. 1 S. 1, 61 a ArbGG) gegenüber der Aussetzungsmöglichkeit nach § 148 ZPO der Vorrang einzuräumen, wenn nicht gewichtige Gründe die Aussetzung gebieten. Es entspricht nicht pflichtgemäßem Ermessen, bei mehreren zwischen denselben Parteien anhängigen Kündigungsschutzprozessen die Verfahren wegen der zeitlich später ausgesprochenen Kündigungen auszusetzen bis zur rechtskräftigen Entscheidung der ersten Kündigungsschutzklage. Hier ist es regelmäßig geboten – zumal, wenn eine der Parteien dies mit überzeugenden Gründen anregt –, sämtliche Kündigungsverfahren miteinander zu verbinden (§ 147 ZPO). Damit wird dem Zweck des § 148 und auch dem Beschleunigungsgrundsatz gleichermaßen Rechnung getragen. Eine gleichwohl unterbliebene Verfahrensverbindung macht die Aussetzung unzulässig.
Normenkette
ArbGG §§ 53, 55 Abs. 3; ZPO §§ 147-148
Verfahrensgang
ArbG Flensburg (Beschluss vom 28.07.1998; Aktenzeichen 3 Ca 851/98) |
Tenor
wird auf die Beschwerde der Beklagten der Aussetzungsbeschluß des Arbeitsgerichtes Flensburg vom 28.07.1998 – Az.: 3 Ca 851/98 – aufgehoben.
Das Arbeitsgericht wird angewiesen, dem Rechtsstreit seinen Fortgang zu geben.
Tatbestand
I.
Die Parteien führen mehrere Kündigungsschutzprozesse vor dem Arbeitsgericht Flensburg. Im Verfahren 3 Ca 383/98 wendet sich der Kläger gegen eine außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.1998, im Verfahren 3 Ca 851/98 gegen eine weitere fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 17.06.1998 und im Verfahren 3 Ca 911/98 gegen eine weitere fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 24.06.1998.
Das Arbeitsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß vom 28.07.1998 das Verfahren 3 Ca 851/98 bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens 3 Ca 383/98 unter Hinweis darauf ausgesetzt, daß dieses Verfahren gegenüber dem Verfahren 3 Ca 851/98 vorrangig sei. Den Aussetzungsbeschluß hat der Kammervorsitzende ohne mündliche Verhandlung alleine nach vorheriger Anhörung der Parteien und auf Antrag des Klägers ohne Zustimmung des Beklagten erlassen.
Gegen den Beschluß hat die Beklagte am 30.07.1998 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt: Die Aussetzung sei bereits aus formalen Gründen nicht zulässig. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Das Verfahren 3 Ca 383/98 sei nicht vorgreiflich. Im übrigen gebiete der Beschleunigungsgrundsatz eine möglichst schnelle Entscheidung auch über die nachfolgende Kündigung, um bald Klarheit darüber zu haben, ob der Kläger weiterbeschäftigt werden müsse. Auf die Beschwerdebegründung wird im übrigen Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
Der Kläger hält das Verfahren 3 Ca 383/98 für vorgreiflich; denn bevor nicht rechtskräftig über die Kündigung vom 09.03.1998 entschieden worden sei, stehe nicht fest, ob die nachfolgende Kündigung überhaupt ein noch bestehendes Arbeitsverhältnis betreffe. Der Fall liege hier anders als in den Verfahren, in denen es neben einer Kündigung noch um Weiterbeschäftigungs- oder Entgeltansprüche gehe.
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die nach §§ 252, 567 ZPO i.V.m. § 78 Abs. 1 ArbGG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Beschwerde ist begründet.
Der angefochtene Beschluß ist sowohl prozeß- als auch materiell-rechtlich zu beanstanden.
1. Der Aussetzungsbeschluß hätte nicht so, wie geschehen, vom Vorsitzenden allein erlassen werden dürfen.
Zwar ist umstritten, ob die Aussetzungsanordnung nach ...