Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei konzerninternen Versetzungen zur Streikabwehr
Leitsatz (amtlich)
Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats des abgebenden Betriebs nach § 99 BetrVG bei Versetzungen entfällt nicht, wenn ein Arbeitnehmer vorübergehend im Betrieb eines anderen Unternehmens im Konzern eingesetzt werden soll, weil in dem anderen Konzernunternehmen ein Arbeitskampf stattfindet.
Normenkette
BetrVG § 95 Abs. 3 S. 1, § 99 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 31.10.2012; Aktenzeichen 5 BV 71/12) |
Tenor
Der Beschluss des Arbeitsgerichts L. vom 31.10.2012 - 5 BV 71/12 - wird geändert:
Es wird festgestellt, dass die Versetzung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Streikabwehr aus dem Betrieb der Arbeitgeberin in den Betrieb der A. N. W. GmbH während der Dauer eines Streiks in der A. N. W. GmbH der Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedarf, soweit sich die Arbeitgeberin nicht selbst im Arbeitskampf befindet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Antragstellers (Betriebsrat) bei unternehmensübergreifenden Versetzungen während eines Arbeitskampfs.
Die Antragsgegnerin (Arbeitgeberin) ist eine Tochter der A. K. Verwaltungsgesellschaft (AKV), die ihrerseits zum Konzern der A. K. GmbH (AKG) gehört. Eine weitere Tochtergesellschaft der AKV ist die A. N. W. GmbH, die im Sommer 2012 im Rahmen von Tarifverhandlungen mit ver.di bestreikt wurde.
Per E-Mail vom 17.07.2012 (Anlage BR 7, Bl. 60 d.A.) wandte sich die Geschäftsführung der AKV an die Geschäftsführungen der weiteren Konzernunternehmen und bat diese darum, ihre Mitarbeiter aus den Abteilungen für Krankengymnastik und Physiotherapie anzuwerben für eine Tätigkeit in der bestreikten A. K. in W.. Im Hinblick auf dieses Schreiben und den vorgesehenen Einsatz in W. gewährte die Arbeitgeberin ihrem Arbeitnehmer D. vom 23.07. - 27.08.2012 unbezahlten Urlaub. Herr D. wurde in jenem Zeitraum in der A. K. in W. eingesetzt. Ein Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG führte die Arbeitgeberin in ihrem Betrieb nicht durch. Die Entfernung zwischen B. O. und W. beträgt ca. 230 km.
In erster Instanz haben beide Beteiligten jeweils unter Bezugnahme auf verschiedene Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Einschränkung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats im Arbeitskamp ihre entgegengesetzten Auffassungen zur Zustimmungsbedürftigkeit des Einsatzes von Arbeitnehmern in einem anderen konzernangehörigen bestreikten Unternehmen vertreten. Auf die in erster Instanz insoweit gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen. Der Betriebsrat hat ferner ausgeführt, auch bei beendetem Streik bestehe ein Feststellungsinteresse, da ein Streik auch künftig wieder auftreten könne. Anlässlich zukünftiger Tarifauseinandersetzungen könne es in der A. N. W. GmbH erneut zu Arbeitsniederlegungen kommen. Im Zuge solcher Streiks könnten auch weiterhin arbeitskampfbedingte Versetzungen aus dem Betrieb der Arbeitgeberin dorthin in Betracht kommen.
Der Betriebsrat hat, soweit für das Beschwerdeverfahren von Interesse, zuletzt beantragt,
festzustellen, dass die Versetzung von Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern zur Streikabwehr aus dem Betrieb der Arbeitgeberin in die A. N. W. GmbH während der Dauer eines Streiks in der A. N. W. GmbH der vorherigen Anhörung und Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG bedarf.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Antrag sei zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt. Ferner liege das erforderliche Feststellungsinteresse vor, da es wegen der tariflichen Situation in Streikfällen auch zukünftig zu arbeitskampfbedingten Versetzungen in die A. K. N. in W. kommen könne. Der Antrag sei aber unbegründet. Bei der Anordnung gegenüber den Arbeitnehmern, vorübergehend in W. tätig zu sein, handele es sich um eine Versetzung im Sinne des § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, die grundsätzlich nach § 99 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedürfe. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2011 - 1 ABR 2/10 - und den dortigen Ausführungen zur Kampfparität sowie der Entscheidung vom 19.06.2007 - 1 AZR 396/06 - zur Rechtmäßigkeit von Unterstützungsstreiks müsse das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Fällen der vorliegenden Art nach § 99 BetrVG zurücktreten, auch wenn es sich bei der Arbeitgeberin und der A. N. W. GmbH um zwei verschiedene Unternehmen handele. Es liege eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Unternehmen vor, die diese Einschränkung des Mitbestimmungsrechts rechtfertige. Anderenfalls ergebe sich die Folge, dass zwar die Arbeitnehmerschaft konzernweit Arbeitnehmer in anderen konzernabhängigen Unternehmen im Rahmen eines Unterstützungsstreiks durch Arbeitsniederlegungen oder andere arbeitskampfbedingte Maßnahmen unterstützen könne. Im Gegenzug werde der Arbeitgeberin jedoch die Mö...