Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutsche Post AG. Betriebsversammlung. Arbeitszeit. Voll-/Teilversammlung. angemessene postalische Versorgung
Leitsatz (amtlich)
Für eine Niederlassung der Deutschen Post AG ergibt sich aus dem Infrastrukturauftrag des Art. 87 f GG keine „Eigenart des Betriebes” im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, die es zwingend erfordert, eine Betriebsversammlung außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen.
Normenkette
BetrVG § 44 Abs. 1; GG Art. 87f
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Beschluss vom 24.10.1996; Aktenzeichen 2b BV Ga 106/96) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Lübeck – 2b BV Ga 106/96 – vom 24. Oktober 1996 wird zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob eine Betriebsversammlung, die der Beteiligte zu 2), für den 29.10.1996 in der Zeit von 09.00 bis 11.00 Uhr nach Lübeck einberufen hat, zulässig ist.
Innerhalb der Unternehmenssparte Postfilialen der Antragstellerin ist die „Niederlassung Neustadt” ein Betrieb, der sich von Puttgarden im Norden bis Neuhaus im Süden sowie von Wahlstedt im Westen bis Neukloster im Osten erstreckt. Die Betriebsteile gehören betriebsverfassungsrechtlich aufgrund Nr. 4 Zuordnungstarifvertrag zum Betrieb „Niederlassung Neustadt”; diese ist nach der Unternehmensstruktur fast ausschließlich für den Betrieb der ca. 150 Postfilialen zuständig; in der Niederlassung sind ca. 450 Mitarbeiter beschäftigt.
Mit Schreiben vom 10.10.1996 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, daß die „nächste Betriebsversammlung am 29.10.1996 um 15.00 Uhr im Dräger-Forum als Vollversammlung für die Niederlassung Neustadt durchgeführt” werden solle. Dieses Schreiben hat die Antragstellerin am 14.10.1996 erhalten. Am 16.10.1996 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mündlich mit, daß die Betriebsversammlung am 29.10.1996 um 09.00 Uhr stattfinden solle. Diese Mitteilung bestätigte der Antragsgegner mit Schreiben vom 18.10.1996. Am 21.10.1996 reichte die Antragstellerin beim Arbeitsgericht Lübeck den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ein.
Die Antragstellerin hat vorgetragen:
Der Beschluß des Antragsgegners, die Betriebsversammlung am 29.10.1996, 09.00 bis 11.00 Uhr, in Lübeck durchzuführen, verstoße gegen mehrere betriebsverfassungsrechtliche Vorschriften. Die Rechtswidrigkeit der geplanten Betriebsversammlung ergebe sich aus Verstößen gegen die §§ 42 Abs. 1 S. 2, 44 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz und wegen Verstoßes gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Betriebspartnern.
Die Antragstellerin hat beantragt,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung zur Vermeidung eines durch das Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes zu untersagen, die für den 29.10.1996 in Lübeck einberufene Betriebsversammlung durchzuführen,
hilfsweise
dem Antragsgegner aufzugeben, die in seinem Schreiben ohne Datum an die Beschäftigten gemachten Behauptungen:
„Die Teilnahme an der Betriebsversammlung ist Dienst”
und
„Alle Schalterstellen müßten dann am 29.10.1996 ab 12.00 Uhr geschlossen werden”,
ebenfalls zur Meidung eines für das Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes gegenüber den Beschäftigten in geeigneter Weise zu widerrufen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 24.10.1996 Haupt- und Hilfsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht gegeben seien.
Gegen diesen Beschluß hat die Antragstellerin am 25.10.1996 Beschwerde mit Begründung eingelegt.
Sie trägt vor:
Die geplante Betriebsversammlung habe gravierende betriebliche Auswirkungen: Bei allen Filialen sei vormittags die Abholung und Einlieferung benachrichtigter Sendungen nicht möglich, bei den nachmittags geschlossenen Filialen ganztägig. Dadurch würden insbesondere die hoheitlichen Aufgaben der Zustellung nach dem Prozeß- und Verfahrensrecht unmöglich gemacht. Das gleiche gelte für die Abholung großformatiger Postfachsendungen und nachzuweisender Sendungen. Eine Umorganisation sei aufgrund der Kürze der Zeit und der ultimativen Haltung des Betriebsrats nicht möglich.
Die Postfachverteilung, die üblicherweise durch Schalterkräfte vorgenommen werde, müsse vom Briefdienst übernommen werden.
Bei den Posthaltern, die noch Briefe zustellten, müsse diese Zustellung ausfallen bzw. auf den Briefdienst übergeben werden.
Mit seiner Auffassung, eine organisatorisch-technische Besonderheit des Betriebes sei bei der Antragstellerin nicht zu erkennen, so daß die Ausnahmeregelungen des § 44 Abs. 1 S. 1, 2. Halbsatz BetrVG nicht anzuwenden sei, verkenne das Arbeitsgericht die Rechtsprechung des BAG zu der Frage, wann die Eigenart des Betriebes es erfordere, daß eine Versammlung außerhalb der Arbeitszeit stattzufinden habe. Diese Besonderheit liege gerade bei den Filialen der Antragstellerin vor. Technisch und organisatorisch sei es immer möglich, einen Betrieb für eine gewisse Zeit stillzulegen; unterschiedlic...