Entscheidungsstichwort (Thema)
Sexuelle Belästigung. unerwünscht. außerordentliche Kündigung. ordentliche Kündigung. Verhältnismäßigkeit. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei Kündigung wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Leitsatz (amtlich)
1. Eine begangene sexuelle Belästigung macht die Weiterbeschäftigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht per se kraft Gesetzes unzumutbar.
2. Auch bei nur verbalen sexuellen Belästigungen durch einen langjährig beschäftigten männlichen Arbeitnehmer kann eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung verhältnismäßig sein (Abgrenzung zu ArbG Kaiserlautern vom 27.3.2008 – 2 Ca 1784/07)
Normenkette
BGB § 626; AGG § 3 Abs. 4, § 12 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 02.09.2008; Aktenzeichen 6 Ca 1698 b/08) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 02.09.2008 – 6 Ca 1698 b/08 – teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 27.05.2008 aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtstreits (beide Instanzen) trägt der Kläger ½ und die Beklagte ½.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen hilfsweise fristgemäßen Kündigung mit dem Vorwurf der sexuellen Belästigung von Arbeitskolleginnen.
Der Kläger ist am ….1969 geboren und steht seit 1991 in einem Vertragsverhältnis zur Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Er ist zunächst ausgebildet worden und seit 1992 als Krankenpflegehelfer beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst beläuft sich auf 2.800,00 EUR.
Der Kündigung liegen zwei Vorfälle zugrunde:
Seit dem 01.10.2007 arbeitet die Zeugin B. bei der Beklagten. Der Kläger hat dieser gegen Ende 2007/Anfang 2008 während der Arbeitszeit – die Zeugin legte gerade Dokumentationen an – ein Bild mit dem unbekleideten Unterkörper einer Frau mit gespreizten Beinen in Nahaufnahme gezeigt. Die Zeugin forderte den Kläger auf, das Bild sofort wegzunehmen. Ob das Foto verfremdet war, ist streitig. Die Zeugin hat dienstlich zunächst nichts gemeldet. Sie befand sich noch in der Probezeit.
Unabhängig davon hat die Zeugin B. den Kläger einmal nach Dienstende auf dessen Bitte zu einer Diskothek, die auf ihrem Nachhauseweg lag, mitgenommen und dort abgesetzt. Eine weitere männliche Person befand sich im Auto.
- Der Kläger hat darüber hinaus die Zeugin P. am 17.04.2008 nachts gegen 0.15 Uhr im Dienst angerufen und in ein etwas längeres Gespräch verwickelt. Dabei hat er unter anderem gesagt, wenn sie seine Freundin wäre, könne sie BMW fahren; was die Zeugin unter Hinweis auf ein eigenes Auto deutlich ablehnte. Der Kläger soll nach Aussage der Zeugin dann einen Wunsch nach einer neuen Freundin geäußert und sodann gesagt haben: „Ja M., dann nehme ich meinen Schwanz und stecke ihn in dein Loch und spritz ab.” Die Zeugin P. drückte einer Arbeitskollegin das Telefon mit dem Bemerken, bitte sofort aufzulegen, in die Hand und eilte zu einer Patientin. Der Kläger klang alkoholisiert und behauptet, derartiges nicht konkret erinnern zu können.
Nach diesen Vorfällen wurde der Kläger am 14.05.2008 arbeitsunfähig krank. Er hatte sich einen Fuß gebrochen. Im Frühdienst am 15.05.2008 berichtete Frau P. der Zeugin B., die mittlerweile Pflegedienstleiterin geworden war, von dem Telefonat vom 17.04.2008. Diese informierte die Beklagte, die mit am 16.05.2008 zugegangenem Schreiben den Kläger von der Erbringung seiner Arbeitsleistung suspendierte und gab ihm Gelegenheit, sich zu äußern (Anlage B 2 – Bl. 27 f. d. A.). Am 19.05.2008 nahm der Kläger zu den Vorwürfen Stellung (Anlage B 3 – Bl. 29 – 31 d. A.). Mit Schreiben vom 22.05.2008 leitete die Beklagte sodann die Anhörung des bei ihr gebildeten Betriebsrats zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, hilfsweise einer ordentlichen Kündigung zum 31.12.2008, ein (Anlage B 4, Bl. 32 d. A.). Mit Schreiben vom 26.05.2008 nahm der Betriebsrat hierzu Stellung und äußerte Bedenken. Er sah den Ausspruch einer Kündigung als unverhältnismäßig an und hielt eine Versetzung, verbunden mit einer Abmahnung und einer Entschuldigung bei den beiden Mitarbeiterinnen für ausreichend (Anlage B 5, Bl. 33 d. A.). Am 27.05.2008 sprach die Beklagte sodann die außerordentliche Kündigung aus und kündigte gleichzeitig vorsorglich ordentlich zum 31.12.2008 (Anlage B 6, Bl. 34 f. d. A.). Hiergegen erhob der Kläger am 17.06.2008 Kündigungsschutzklage. Ebenso entschuldigte er sich am 08.07.2008 bei den betroffenen Mitarbeiterinnen.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche/ordentliche Kündigung vom 27.05.2008, zugegangen am 27.05.2008, aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben über die beiden Kündigungsvorwürfe und deren Details. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll des...