Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Vergütung von Umkleidezeiten (Rüstzeiten) ohne arbeitgeberseitige Vorgabe des Tragens von Arbeitskleidung
Leitsatz (redaktionell)
Zur Arbeitsleistung auf der vertraglichen Grundlage des § 611 Abs. 1 BGB gehören das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung ausdrücklich vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet.
Normenkette
BGB § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 26.04.2017; Aktenzeichen 5 Ca 2785/16) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 26.04.2017 - 5 Ca 2785/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob Umkleide- und Wegezeiten des Klägers von der Beklagten als vergütungspflichtige Arbeitszeit zu behandeln sind.
Die Beklagte betreibt in S. eine thermische Abfallbehandlungsanlage zur umweltfreundlichen Energiegewinnung. Pro Jahr werden ca. 350.000 t Abfall aus der Umgebung verwertet. Der angelieferte Abfall wird im sogenannten Abfallbunker gesammelt und zwischengelagert, mittels eines Krans durchmischt und von diesem kontinuierlich in einen Trichter gegeben, von dem aus er in eine der beiden Verbrennungslinien gelangt.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.04.1993 als Betriebswerker auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Bl. 169 f d. A.) beschäftigt. Entgegen der Angabe in diesem Arbeitsvertrag findet auf das Arbeitsverhältnis unstreitig der TV-AVH Anwendung. Der Kläger arbeitet im Schichtbetrieb. Die von der Beklagten vergütete Arbeitszeit beginnt mit dem Betreten der Schaltwarte, in der die Übergabe von der vorherigen Schicht erfolgt. Dort endet sie nach der Übergabe an die Folgeschicht auch. Die Beklagte teilt dem Kläger monatlich auf einem Arbeitszeitnachweis u.a. den Stand seines Überstundenkontos mit.
Vor Betreten der Schaltwarte und nach Beendigung der Arbeitszeit zieht der Kläger sich - nach seiner streitig gebliebenen Behauptung - im Sozialgebäude auf dem Betriebsgrundstück um. Die Beklagte stellt ihm graue Arbeitskleidung, auf der deutlich sichtbar sein Name steht. Mit einem Hinweis auf die Beklagte ist die Kleidung nicht versehen. Wegen der Einzelheiten des äußeren Erscheinungsbildes der Kleidung wird auf Blatt 91 - 100 der beigezogenen Akte im Verfahren 1 Sa 206/17 verwiesen. Die Beklagte bietet die kostenlose Reinigung dieser Arbeitskleidung an. Eine konkrete Anweisung zum Tragen der Kleidung besteht nicht. Weiter stellt die Beklagte dem Kläger eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) darunter einen Einwegoverall zur Verfügung. Nach einer Anweisung vom 04.03.2014 (Anlage K 2, Bl. 56 - 60 d. A.) ergibt sich die jeweils zu tragende PSA für den Umgang mit Gefahrenstoffen und Biostoffen aus den ausgehängten Betriebsanweisungen für den spezifischen Gefahrstoff/Biostoff. Das Tragen der jeweils festgelegten PSA ist für die Beschäftigten verpflichtend. Die Zeiten für das An- und Ablegen der PSA werden von der Beklagten vergütet. Wegen der Betriebsanweisungen zu den einzelnen Gefahrstoffen/Biostoffen wird auf die Anlage K 4 (Bl. 62 - 68 d. A.) verwiesen.
Die Aufgaben des Klägers richten sich nach der Arbeitsplatzbeschreibung für Betriebswerker. Er ist u.a. für die Durchführung von Reinigungsarbeiten bei Produktaustritt zuständig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage B 1 (Bl. 33 f d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger ist der Auffassung, bei den Zeiten für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung, den Wegezeiten zwischen Sozialgebäude und Schaltwarte sowie für das Duschen (Rüstzeiten) handele es sich um Arbeitszeit, die die Beklagte auf seinem Arbeitskonto arbeitstäglich mit 15 Minuten gutschreiben müsse.
Hierzu hat er behauptet:
Insbesondere bei Wartungs- und Reinigungsarbeiten komme er täglich bzw. mit großer Regelmäßigkeit mit den in den verschiedenen Betriebsanweisungen genannten gefährlichen Stoffen in Berührung. Es handele sich überwiegend um Stäube, die sich an und in der Arbeitskleidung festsetzten. Hinzu komme, dass das gesamte Umfeld im Produktionsbereich stark staubbelastet sei. Diese Stäube könnten u. a. Dioxin, Furane oder Schwermetalle enthalten. Eine Kontaminierung mit den Stäuben sei nicht zu vermeiden. Hinzu kämen deutlich merkbare Gerüche, die ebenfalls der Kleidung anhafteten. Es sei auch nicht zu vermeiden, dass beim Ausziehen der PSA diese anhaftenden Stoffe auf die Arbeitskleidung und die Arbeitsschuhe gerieten. Damit sei sowohl das Umkleiden, als auch das Duschen fremdnützig im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das Tragen der Arbeitskleidung auf dem Weg von und zur Arbeit sei unzumutbar. In der Zeit vom 01.06.2015 bis 31.10.2016 sei er an 270 Tagen in der Produktion tätig gewesen (Aufstellung: Anlage K 5, Bl. 69 d. A.) und habe sich bei Arbeit...