REVISION / RECHTSBESCHWERDE / REVISIONSBESCHWERDE ZUGELASSEN JA
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung während Wiedereingliederungsmaßnahme
Leitsatz (amtlich)
Der fortdauernd arbeitsunfähige Arbeitnehmer hat während einer vom Arbeitgeber auf Wunsch des Arbeitnehmers durchgeführten Wiedereingliederungsmaßnahme nach § 74 SGB V keinen Anspruch auf Vergütung gegen den Arbeitgeber. Weder leistet er die vertraglich geschuldete Arbeit noch kann er den Arbeitgeber wegen seiner Arbeitsunfähigkeit in Annahmeverzug setzen.
Normenkette
SGB V § 74; BGB §§ 611, 615
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Urteil vom 05.09.1990; Aktenzeichen 4a Ca 1265/90) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 5. September 1990 – 4a Ca 1265/90 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.474,– DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der schwerbehinderte Kläger ist seit 1978 als Sachbearbeiter in der Verwaltung der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) in seiner jeweils geltenden Fassung. Seit dem 26. September 1989 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Von seiner Krankenkasse ist er bereits „ausgesteuert”, so daß er gegenwärtig ohne finanzielle Bezüge ist.
Der Kläger legte der Beklagten am 17. April 1990 ein undatiertes ärztliches Attest des Dr. med. B. das auszugsweise wie folgt lautet (Kopie Bl. 6 d. A.):
Da Herr E. jetzt arbeitsunfähig erkrankt ist, befürworte ich aufgrund der Kenntnis der bisherigen Erkrankung eine Wiedereingliederungsmaßnahme in den Arbeitsprozeß mit vorerst vier Std. tägl. für die Dauer von sechs Wochen, um dann stufenweise die Arbeitszeit heraufsetzen zu können.
Zugleich bat der, Kläger die Beklagte, ihn zunächst mit 50 % der üblichen Arbeitszeit zu beschäftigen. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 26. April 1990 wie folgt (Kopie Bl. 7 d. A.):
Wir nehmen zur Kenntnis, daß. Ihnen in einem ärztlichen Attest ein Arbeitsversuch für sechs Wochen angeraten wurde.
Grundsätzlich sind wir damit einverstanden. Allerdings wird von uns für die Zeit des Arbeitsversuchs keine Vergütung gezahlt, da Sie nach wie vor arbeitsunfähig erkrankt sind. Ihre Arbeitsleistung können wir erst annehmen, wenn die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird.
Eventuell kann Ihre Krankenversicherung für die Zeit des Arbeitsversuchs die Zahlung des Krankengeldes vornehmen. Setzen Sie sich zur Klärung bitte mit der Barmer Ersatzkasse in Verbindung und teilen uns dann mit, ob und ggf. wann der Arbeitsversuch beginnen soll.
Mit Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 5. Juni 1990 (Kopie Bl. 8/8 R d. A.) machte der Kläger „für die Dauer seiner Tätigkeit einen Vergütungsanspruch in Höhe von 50 % seiner üblichen Arbeitsvergütung geltend, sofern und solange er arbeitet”. Mit Schreiben vom 27. Juni 1990 (Kopie Bl. 9 d. A.) lehnte die Beklagte es nochmals ab, den Kläger gegen Vergütung täglich vier Stunden zu beschäftigen. Der Kläger hat dementsprechend die Beschäftigung auch nicht aufgenommen.
Der Kläger verlangt jeweils eine halbe Vergütung für die Monate Juni und Juli 1990.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.983,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 14. August 1990 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen:
Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe sie Aushilfsangestellte – eine bis zum 15. Oktober 1989 und die zweite ab 16. Oktober 1989 – eingestellt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet:
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Vergütung gem. § 611 BGB, weil er keine Arbeitsleistung erbracht habe. Er habe auch keinen Anspruch aus dem Gesichtspunkte des Annahmeverzugs (§ 615 BGB), weil er die Beklagte mit seinem Angebot nicht in Verzug gesetzt habe. Er habe nämlich nicht die geschuldete Arbeitsleistung angeboten. Arbeitsvertraglich geschuldet sei eine ganztägige Arbeitsleistung, eine halbtägige Arbeitsleistung sei nicht Inhalt des Arbeitsvertrages und damit nicht geschuldet.
Der Kläger könne sich auch nicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts AP Nr. 52 zu § 616 BGB berufen. Der Beklagten sei es nämlich nicht zumutbar, sowohl die Aushilfskraft als auch den Kläger – zur Hälfte – zu vergüten, wenn kein freier halber Arbeitsplatz (für den Kläger) zur Verfügung stehe. Die Beklagte könne nicht gezwungen werden, sozusagen als Beschäftigungstherapie für den Kläger Arbeiten zusammenzusuchen.
Gegen dieses ihm am 18. September 1990 zugestellte Urteil hat der Kläger am 1. Oktober 1990 Berufung eingelegt und die Berufung am 9. Oktober 1990 begründet.
Der Kläger trägt vor:
Das Arbeitsgericht habe sich nicht ausreichend mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auseinandergesetzt. Danach könne der Arbeitgeber unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht gehalten sein, dem Arbeitnehmer eine andere Arbeitszeit zuzuweisen. Dabei sei hier zu bedenken, daß er, der Kl...