Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinstellungsverlangen nach betriebsbedingter Kündigung vor Betriebsteilübergang. unbegründete Leistungsklage bei Vorbeschäftigung in nicht übernommenem Betriebsteil
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Wiedereinstellungsanspruch nach betriebsbedingter Kündigung vor einem Betriebsübergang scheidet aus, wenn die Klägerin nicht in einem von der Beklagten übernommenen Betriebsteil beschäftigt war.
2. Für die Abgrenzung von Betrieb und Betriebsteil ist eine Gesamtbetrachtung maßgeblich, bei der die wirtschaftliche Einheit und ihre Identität im Mittelpunkt steht; auch beim Erwerb eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität wahrt, so dass eine Teileinheit des Betriebs auch bereits bei der früheren Betriebsinhaberin die Qualität eines Betriebsteils gehabt haben muss und (in Anlehnung an § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG) eine selbstständig abtrennbare organisatorische Einheit vorgelegen hat, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wurde.
3. Das Merkmal des Teilzwecks dient zur Abgrenzung der organisatorischen Einheit; im Teilbetrieb müssen aber nicht andersartige Zwecke als im übrigen Betrieb verfolgt werden.
4. Ergibt die Gesamtbetrachtung eine identifizierbare wirtschaftliche und organisatorische Teileinheit, muss diese bei der Erwerberin im Wesentlichen unverändert fortbestehen und die Arbeitnehmerin diesem Betriebsteil zuzuordnen sein; im Rahmen der Gesamtbetrachtung können wesentliche Änderungen in der Organisation, der Struktur und dem Konzept einer Identitätswahrung entgegenstehen.
5. Der übertragene Unternehmens- oder Betriebsteil muss seine organisatorische Selbständigkeit bei der Betriebserwerberin nicht vollständig bewahren; es genügt, dass diese die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehält und es ihr derart ermöglicht wird, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.
6. Eine wirtschaftliche Einheit darf nicht mit einer bloßen Tätigkeit gleichgesetzt werden; erforderlich ist in jedem Fall die Übertragung von Produktionsfaktoren, die (zumindest) in ihrer funktionellen Verknüpfung bei der Erwerberin bestehen bleiben.
7. War die Arbeitnehmerin im Bereich der Verwaltung beschäftigt, bei dem es sich nicht nur um "begleitende Betriebsmittel" sondern um einen eigenständigen Betriebsteil handelte, und ist dieser Betriebsteil nicht auf die Erwerberin übergegangen, hat die Arbeitnehmerin gegen die Erwerberin keinen Anspruch auf Wiedereinstellung nach betriebsbedingter Kündigung durch die Betriebsveräußerin.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 611 Abs. 1, § 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 14.04.2011; Aktenzeichen ö. D. 2 Ca 2693 b/10) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.04.2011 - ö. D. 2 Ca 2693 b/10 - geändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge).
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug nur noch darüber, ob der Klägerin ein Einstellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht.
Die Klägerin war vom 01.12.1995 bis zum 30.06.2010 als Angestellte auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Bl. 16 - 19 d. A.) mit 20 Wochenstunden bei einem Bruttomonatsgehalt von EUR 1.625,71 bei der H. GmbH (H.) beschäftigt. Ihre Aufgaben waren die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Beratung und der Verkauf der von der H. vertriebenen Waren.
Die H. betrieb auf einem von der Beklagten gepachteten Betriebsgelände bis zum 30.06.2010 die Entsorgung von Bioabfall aus der "braunen Tonne" sowie die Entsorgung des Grünschnitts im Stadtgebiet der Beklagten. Der Inhalt der braunen Tonne sowie der Grünschnitt wurden auf das Betriebsgelände in der R. angefahren, dort kompostiert und die infolge der Kompostierung entstehenden Produkte vermarktet. Die Kompostierung fand in Mieten sowie Rotteboxen statt. Bei Mieten handelt es sich um Flächen, auf denen der Biomüll gelagert, gewendet und bearbeitet wird und sich langsam zersetzt. Der Biomüll wurde teilweise zu Frischkompost, teilweise zu Fertigkompost und Pflanzerde verarbeitet und dann an private Endverbraucher verkauft. Die Grünabfälle wurden nach Vorbehandlung und Verarbeitung ebenfalls an private Endverbraucher verkauft. Außerdem vertrieb die H. Dünger, Sand, Kies u. ä. und vermietete in geringem Umfang auch Gartenarbeitsgeräte.
Die H. beschäftigte insgesamt zwölf Arbeitnehmer: Einen Betriebsleiter, zwei Prokuristen, zwei Arbeitnehmer für die Öffentlichkeitsarbeit, die Beratung und den Verkauf - darunter die Klägerin -, einen Arbeitnehmer für die Vermarktung, die Beratung und den Verkauf sowie fünf gewerbliche Arbeitnehmer und einen Arbeitnehmer in der Auslieferung. Auf dem Betriebsgelände befanden sich die Kompostierungsanlage sowie ein Verwaltungsgebäude mit einem Ladengeschäft und dem hausei...