Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugnahmeklausel. konstitutiv. dynamisch. Verweisung. Betriebsübergang. Tarifbindung. Vertragsrecht. Konkurrenz. Vertrauensschutz. negative Koalitionsfreiheit. Dynamische Bezugnahmeklausel. Betriebsübergang auf nicht tarifgebundenen Arbeitgeber. arbeitsvertragliche Ansprüche
Leitsatz (amtlich)
1. Hat eine im Arbeitsvertrag tarifgebundener Parteien nach der Schuldrechtsreform vereinbarte kleine dynamische Bezugnahmeklausel konstitutive Wirkung, führt dies gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB bei einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Erwerber zu einer Bindung an nachfolgende Tarifvertragsänderungen kraft Vertragsrecht.
2. Diese Ansprüche aus Vertragsrecht werden nicht durch § 613a Abs. 1 S. 2 BGB und die darauf beruhende nur noch statische Weitergeltung von Tarifnormen verdrängt. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB ist neben § 613a Abs. 1 S. 2 BGB mit unterschiedlichen Auswirkungen für den Betriebserwerber anwendbar.
3. Darin liegt – auch aus europarechtlicher Sicht – kein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit des Betriebserwerbers.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 157, 133; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 02.04.2008; Aktenzeichen 5 Ca 3139/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 02.04.2008 – 5 Ca 3139/07 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt anteilige Einmalzahlung und anteilige Prämie aus arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf einen Tarifvertrag von der nicht tarifgebundenen Beklagten.
Die Klägerin ist seit dem 18.06.1998 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Maschinenbedienerin tätig. Seit November 2005 arbeitet sie 30 Stunden pro Woche mit einem Entgelt von zuletzt 1.437,43 EUR Grundlohn zuzüglich einer Prämie von 503,10 EUR brutto. Die Klägerin ist Mitglied der IG Metall.
Das Arbeitsverhältnis begann mit einem Arbeitsvertrag vom 02.06./08.06.1998 mit der in der Metallindustrie tarifgebundenen D. GmbH. Unter Ziffer 7.2 heißt es dort wie folgt:
„7.2 Sonstige Regelungen
Im übrigen gelten für das Anstellungsverhältnis die Bestimmungen der gültigen Tarifverträge der Metallindustrie Schleswig-Holstein in der jeweils gültigen Fassung und alle betrieblichen Regelungen, Richtlinien, Betriebsvereinbarungen der D.
GmbH in ihrer jeweils gültigen Fassung, sofern Sie unter deren Geltungsbereich fallen.” (Anlage B 1 – Bl. 13 d. A.)
Das Arbeitsverhältnis ging auf die N. GmbH über, die ebenfalls tarifgebunden war. Mit Wirkung vom 01.11.2005 schloss die Klägerin mit dieser aus Anlass einer Arbeitszeitreduzierung eine „Vereinbarung zum bestehenden und fortgeltenden Arbeitsvertrag”. Dort heißt es unter anderem wie folgt:
„Die Mitarbeiterin wird als Maschinenbedienerin in der Kst. 626 (Stanzerei) in Prämienlohn eingesetzt.
…
Die einschlägigen Tarifverträge der Metallindustrie in Schleswig-Holstein in ihrer jeweiligen Fassung sind Bestandteil dieser Vereinbarung.” (Anlage B 2 – Bl. 14 d. A.).
Mit Wirkung zum 01.07.2006 fand ein Betriebsübergang von der N. GmbH auf die Beklagte statt. Diese ist nicht tarifgebunden.
Knapp ein Jahr nach dem Betriebsübergang kam es zu einem neuen Tarifabschluss der Tarifvertragsparteien der Metallindustrie Schleswig-Holsteins, die unter anderem zu einer tariflichen Entgelterhöhung von 4,1 % ab 1. Juni 2007 führte. Desweiteren wurde für den Monat Mai 2007 eine Einmalzahlung für Vollzeitkräfte, basierend auf einer 35-Stunden-Woche, in Höhe von 400,00 EUR brutto vereinbart. Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage für den Zeitraum 01.06. – 16.09.2007 rechnerisch richtig den unstreitigen Betrag aus der prozentualen Entgelterhöhung in Höhe von 281,11 EUR brutto, sowie bezogen auf eine 30-Stunden-Woche die anteilige Einmalzahlung in Höhe von 342,85 EUR brutto. Der Betrag ist außergerichtlich geltend gemacht worden mit Schreiben vom 06.09.2007. Die Beklagte hat die Zahlung unter Hinweis auf ihre fehlende Tarifbindung verweigert, so dass die Klägerin am 6. Dezember 2007 die vorliegende Klage erhoben hat.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 623,96 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 551,53 EUR ab dem 30.09.2007 sowie zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 42,43 EUR ab Zustellung der Klagschrift vom 06.12.2007 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage – mit Ausnahme von wenigen Zinsansprüchen – stattgegeben und das Ergebnis auf die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – und vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – gestützt. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die arbeitsvertraglichen Klauseln seien nach dem eindeutigen Wortlaut dynamisch. Maßgeblich sei auf die Bezugnahmeklausel vom 01.11.2005 abzustellen. Es handele sich um einen Formula...