Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertrag. Tarifbindung. OT-Mitgliedschaft. Nachwirkung. andere Abmachung. Einzelvertrag
Leitsatz (amtlich)
Schließen die beiderseits tarifgebundenen Arbeitsvertragsparteien zu einem Zeitpunkt, in dem noch nicht abzusehen ist, dass die Tarifbindung enden wird, eine Vereinbarung, mit der die vertraglichen Bedingungen gegenüber dem Tarifvertrag verschlechtert werden, so ist diese Vereinbarung wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Sie lebt auch nicht später nach Ende der Tarifbindung wieder auf.
Normenkette
BGB § 611; TVG §§ 3-4
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 20.09.2007; Aktenzeichen 3 Ca 966 b/07) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 20.9.2007 – 3 Ca 966 b/07 – werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob eine zwischen den Parteien am 12.7.2005 geschlossene Vereinbarung Auswirkungen hat.
Der Kläger wurde am 7.4.1994 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer eingestellt. Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG BAU. Die Beklagte hat ihren Sitz in S. und ist Mitglied im Norddeutschen Baugewerbeverband e.V., seit dem 1.1.2006 als OT-Mitglied (Bl. 17.d.A.). Die Beklagte beschäftigt ca. 150 Arbeitnehmer. Es ist ein Betriebsrat gebildet.
Am 4.7.2002 schlossen die bundesweit handelnden Tarifvertragsparteien den „Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der 5 neuen Länder und des Landes Berlin” (im Folgenden: TV Lohn-West) ab, mit dem auch neue Lohnstrukturen eingeführt wurden. Für den Kläger als Spezialfacharbeiter war seither die neue Lohngruppe 4 des TV Lohn-West maßgeblich. Dieser ist am 29.7.2005 mit Wirkung vom 1.9.2005 geändert worden (Bl. 78 d.A.). Er wurde von der IG BAU zum 31.03.2007 gekündigt. Nach dem TV Lohn-West beträgt der Gesamttariflohn der Lohngruppe 4 ab dem 01.04.2006 14,56 EUR pro Stunde beziehungsweise bei Akkord 13,75 EUR pro Stunde.
Seit über 60 Jahren vereinbarten die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der bauwirtschaftlichen Tarifvertragsparteien in Hamburg für das dortige Verbandsgebiet Bezirkslohntarifverträge (Lohntabellen). Anlass der Erstellung dieser Bezirkslohntarifverträge war zumeist der Abschluss eines Tarifvertrages der zentralen Tarifvertragsparteien auf Bundesebene. Der letzte Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für Hamburg wurde am 1.4.2001 geschlossen. Der ihm zugrunde liegende bundesweit geltende Lohntarifvertrag wurde zum 31.3.2002 gekündigt. Seither befindet sich die Bezirkslohntabelle des Baugewerbes Hamburg in der Nachwirkung. Ein neuer Bezirkslohntarifvertrag ist nicht mehr abgeschlossen worden. In den vergangenen 30 Jahren lag der Hamburger Spezialbaufacharbeitertariflohn wechselnd zwischen 0,08 DM und 0,09 DM über dem Spezialbaufacharbeiterlohn des TV Lohn-West. Zuletzt betrug der Lohnabstand 0,04 EUR pro Stunde. Die Beklagte zahlte weiterhin ihren Arbeitnehmern einen Lohn, der die bisherigen Besonderheiten des Sonderlohngebietes Hamburg berücksichtigte und der 0,04 EUR über dem entsprechenden Lohn des TV Lohn-West lag.
Soweit hier von Belang enthält der TV Lohn-West folgende Regelungen:
§ 6 Sonderlohngebiet Hamburg
Im Sonderlohngebiet Hamburg ist sicherzustellen, dass die Lohnabstände, die sich aus den bisherigen Regelungen in den zentralen Lohntarifverträgen für das Sonderlohngebiet Hamburg ergeben haben, erhalten bleiben.
§ 9 Bezirkslohntarifverträge
Die Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien sind verpflichtet, unverzüglich die Lohntarifverträge (Lohntabellen) ihres Gebietes nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellen. In diese ist auch eine Sonderlohngruppe für Berufskraftfahrer aufzunehmen.
§ 10 Durchführung dieses Vertrages
(1) Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, ihren Einfluss zur Durchführung und Aufrechterhaltung dieses Vertrages und der damit in Zusammenhang stehenden Lohn- und sonstigen Tarifverträge einzusetzen.
Die Beklagte unterrichtete den Betriebsrat am 23.6.2005 darüber, dass sie künftig nicht mehr Mitglied im Arbeitgeberverband sein werde. Gleichzeitig legte sie dar, dass sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens verschlechtert habe. Es bestehe entweder die Möglichkeit, die Hälfte der Belegschaft zu entlassen und zum Ende des Jahres den Betrieb vollständig zu schließen oder die Mitarbeiter auf Basis des tariflichen Mindestlohnes weiter zu beschäftigen. Der Betriebsrat wurde gebeten, die Mitarbeiter auf den Baustellen zu unterrichten (Protokoll der Sitzung Bl. 101 d.A.). Am 12.7.2005 unterzeichnete der Kläger folgende Erklärung: (Bl. 16 d.A.):
Arbeitsvertrags Änderung
auf Grund der wirtschaftlichen Situation in unserem Betrieb sind wir an den Betriebsrat herangetreten, um über mögliche Veränderungen innerhalb der Lohn und Kostenstrukturen uns...