Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehinderter. Beschäftigungsanspruch. Vergütung bei Nichtbeschäftigung. Schadensersatz. leidensgerechter Arbeitsplatz. Organisationsentscheidung des Arbeitgebers. Beschäftigungsanspruch eines Schwerbehinderten
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers nach § 81 IV 1 Nr. 1 SGB IX kann auch dann bestehen, wenn er nicht alle an einem Arbeitsplatz anfallenden Tätigkeiten ausüben kann. Entscheidend ist, ob dem Arbeitgeber die anderweitige Verteilung der anfallenden Arbeit zumutbar ist.
2. Die Entscheidung des Arbeitgebers, alle an einem Arbeitsplatz anfallenden Tätigkeiten müssten vom Arbeitnehmer erbracht werden können, ist keine schützenswerte Organisationsentscheidung, die den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers entfallen lässt.
3. Wird der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht beschäftigt, obwohl eine Beschäftigung dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre, folgt der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 280 I BGB, nicht aus § 615 BGB.
Normenkette
SGB IX § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 1; BGB §§ 280, 615
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 18.01.2012; Aktenzeichen 1 Sa 364 c/10) |
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 12.04.2011; Aktenzeichen 1 Sa 364 c/10) |
Tenor
Die Berufungen der Beklagten gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 12.04.2011 - 1 Ca 364 c/10 - und gegen das Schluss-Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 18.01.2012 werden zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 12.04.2011 - 1 Ca 364 c/10 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt 20 %, die Beklagte 80 % der Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird wegen des Zahlungsantrags der Klägerin (Vergütung Februar bis April 2010 abzüglich Arbeitslosengeld) zugelassen; im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin macht einen Beschäftigungsanspruch als Schwerbehinderte geltend und verlangt die Zahlung von Vergütung für Zeiten der Nichtbeschäftigung.
Die 1963 geborene Klägerin ist seit dem 25.06.1990 als Busfahrerin auf Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags (Bl. 50 - 52 d. A.) beschäftigt. Sie war zuletzt im Umfang von 22,8 Wochenstunden für die Beklagte tätig. Ausweislich § 2 des Arbeitsvertrags ist die Firma berechtigt, der Klägerin auch andere, ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Aufgaben zu übertragen, wobei sich die Beklagte den Ort der Beschäftigung vorbehalten hat. Ausweislich § 12 des Arbeitsvertrags findet auf dieses im Übrigen der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer im privaten Omnibusgewerbe Anwendung. Daneben vergütet die Beklagte die Klägerin gemäß den Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer/Innen des privaten Omnibusgewerbes in Schleswig-Holstein. Die Klägerin erhält Vergütung nach der Lohngruppe III.
Die Klägerin leidet seit 1986 unter einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, die nach der ICD-10 mit F 20.05 klassifiziert ist. Die Krankheit brach in den Jahren 2007 und 2008 erneut aus. Die Klägerin ist schwerbehindert. Sie war ab dem 08.07.2008 fortlaufend arbeitsunfähig. Wegen ihrer Erkrankung darf sie nicht mehr im Fahrdienst eingesetzt werden.
Mit Schreiben vom 15.09.2009 schrieb die Beklagte eine innerbetriebliche Qualifizierungsmaßnahme zum Prüfen von Fahrausweisen aus (Anlage B 7, Bl. 37 d. A.). Hinsichtlich der Anforderungen an die Bewerber heißt es in diesem Schreiben:
"Ihre Hauptaufgabe bleibt der regelmäßige, wöchentliche Fahrdienst. Voraussetzung für Ihre Bewerbung ist daher zwingend eine gültige Fahrerlaubnis Klasse D und die uneingeschränkte Tauglichkeit zum Fahren.
Ansprechen mit dieser Stellenausschreibung möchten wir insbesondere (schwerbehinderte) Fahrerinnen und Fahrer, die mit dieser Zusatzaufgabe (Mischarbeitsplatz) für sich eine geeignete Möglichkeit sehen, ihre Arbeitsfähigkeit* wieder herzustellen bzw. zu erhalten. Eine Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren ist wünschenswert."
Die Klägerin bewarb sich auf diese Ausschreibung, wurde von der Beklagten aber nicht genommen.
Mit Schreiben vom 02.10.2009 (Anlage B 2, Bl. 31 d. A.) bot die Klägerin über ihre Gewerkschaft ihre Arbeitskraft an. Sie wies darauf hin, dass sie nicht im Fahrdienst eingesetzt werden könne, sondern z. B. als Fahrkartenkontrolleurin oder Fahrerbeobachterin eingesetzt werden müsste. Sie stehe auch für weitere vergleichbare Tätigkeiten zur Verfügung.
Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 06.10.2009 (Anlage B 3, Bl. 32 d. A.) eine Beschäftigung der Klägerin ab, weil es bei ihr keine betrieblichen Stellen ohne regelmäßigen Fahrdienst gebe. Die in der Folgezeit auch unter Einschaltung des Betriebsrats geführten Gespräche führten nicht zu einer Einigung der Parteien.
Die Klägerin hat in erster Instanz ihre Beschäftigung als Fahrkartenkontrolleurin, Fahrerbeobachterin oder auf zahlreichen von ihr im Einzelnen genannten Arbeitsplätzen in der Verwaltung der Beklagten geltend gemacht. Ferner hat sie Vergütung für die Zeit von O...