Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretung als sachlicher Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses. Institutioneller Rechtsmissbrauch im Befristungsrecht
Leitsatz (redaktionell)
1. Zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der befristeten Einstellung der Vertretungskraft muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall der Stammkraft und der befristeten Einstellung der Vertretungskraft ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Das gilt auch für eine sog. "Vertretungskette". Beruht die Einstellung des Vertreters auf der Abwesenheit des zu vertretenden Arbeitnehmers, liegt ein sachlicher Grund für die Befristung vor.
2. Aus unionsrechtlichen Gründen müssen die Gerichte prüfen, ob der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreift. Dabei geht es um einen institutionellen Rechtsmissbrauch, bei dem die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen eine indizielle Wirkung haben können. Dabei kann an die gesetzlichen Voraussetzungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft werden. Werden die dort genannten Grenzen alternativ oder kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Entscheidung vom 21.01.2016; Aktenzeichen ö. D. 5 Ca 1598 a/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kiel vom 21.01.2016 - ö. D. 5 Ca 1598 a/15 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer Befristung.
Der Kläger ist seit dem 25.08.2008 als Briefzusteller auf der Grundlage von insgesamt 22 befristeten Arbeitsverträgen bei der Beklagten beschäftigt. Wegen des Inhalts der einzelnen Arbeitsverträge und des jeweils dort angegebenen Befristungsgrundes wird auf Bl. 4 sowie 18 - 38 d. A. verwiesen. Die Beschäftigung des Klägers erfolgte zunächst ohne Unterbrechungen bis zum 31.07.2013 in Teilzeit. Vom 01.04. bis 31.08.2013 leistete der Kläger auf Grundlage eines "Vertrags über die Ableistung eines berufspraktischen Studiensemesters"(Bl. 39 d. A.) ein Praktikum im Rahmen seines Betriebswirtschaftsstudiums/Fachbereich Logistik ab. Das Praktikum absolvierte er drei Monate in der Abteilung Verkehr der Beklagten, zwei Monate schrieb der Kläger an seiner Abschlussarbeit.
Ab dem 21.11.2013 war der Kläger dann wieder als Zustellkraft in Vollzeit tätig. Im letzten Arbeitsvertrag des Klägers vom 24.06.2015 für die Zeit vom 01.07. - 30.09.2015 ist als Befristungsgrund angegeben: "Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters N. C.". Dieser Befristungsgrund war auch bereits in den beiden vorherigen Arbeitsverträgen des Klägers vom 29.07. und 29.09.2014 benannt.
Herr C. N. ist bei der Beklagten seit 29.06.2006 als Zusteller, seit dem 01.04.2009 unbefristet in Vollzeit beschäftigt. Ebenso wie der Kläger ist er im Bereich des Zustellstützpunkts mit Leitung (ZSPL) K. eingesetzt. Ebenso wie der Kläger wird er vergütet nach der Entgeltgruppe 3. Herrn N. war auf Grundlage des für die Beklagte geltenden Manteltarifvertrags zunächst vom 01.10.2013 - 01.10.2014 Sonderurlaub bewilligt worden. Mit Schreiben vom 30.07.2014 verlängerte die Beklagte diese Bewilligung bis zum 01.10.2015. Mit Schreiben vom 07.06.2015 beantragte Herr N. die Verlängerung seines Sonderurlaubs um ein weiteres Jahr. Dem entsprach die Beklagte mit Schreiben vom 13.07.2015.
Bereits im Oktober 2013 hatte die Beklagte mit Herrn N. eine Rahmenvereinbarung (Anlage B5, Bl. 58 d. A.) geschlossen, nach der die Beklagte ihn in eine Liste von Interessenten für kurzfristige Arbeitseinsätze aufnahm. Weiter heißt es dort, die Beklagte werde sich im Bedarfsfall mit der Frage an Herrn N. wenden, ob er in der Lage und bereit sei, für einen näher bestimmten kurzen Zeitraum Arbeiten für die Beklagte zu erledigen. Eine Verpflichtung zur Unterbreitung von Angeboten durch die Beklagte oder zur Annahme dieser Angebote durch Herrn N. wurde durch die Vereinbarung ausdrücklich nicht begründet.
Mit seiner am 19.10.2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Befristung im Arbeitsvertrag vom 24.06.2015.
Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die Beklagte habe bei Vertragsschluss schon gewusst, dass Herr N. ihr auch über den 30.09.2015 hinaus nicht zur Verfügung stehen werde, da er die Verlängerung seines Urlaubs bereits beantragt gehabt habe. Das spreche dafür, dass die Beklagte den Sachgrund der Befristung nur vorschiebe.
Darüber hinaus sei die Befristung wegen Rechtsmissbrauchs der Beklagten unwirksam. Das sei durch die Dauer der Arbeitsverhältnisse und die Anzahl der Befristungen indiziert. Die kurze Unterbrechung der Betriebszugehörigkeit im Jahr 2013 falle nicht ins Gewicht. Für rechtsmissbräuchliches Verhalten spreche dagegen, dass...