Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats. Einleitung des Anhörungsverfahrens. Zeitpunkt
Leitsatz (amtlich)
Das Anhörungsverfahren nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann erst dann wirksam eingeleitet werden, wenn der gesamte Sachverhalt, von dem der Arbeitgeber seinen Kündigungsentschluß abhängig machen will, verwirklicht ist.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 04.02.1994; Aktenzeichen 2c Ca 1379/93) |
Tenor
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 4. Februar 1994 – 2c Ca 1379/93 – wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Juli 1993 nicht aufgelöst ist, sondern fortbesteht.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits – beider Instanzen – zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
Die Klägerin wurde von der Beklagten zum 01.11.89 als Altenpflegehelferin eingestellt. Auf den Arbeitsvertrag vom 23.11.1992 (Bl. 5–8 d. A.) wird Bezug genommen. Ihr monatliches Grundgehalt betrug zuletzt 2.200,– DM. Wegen der weiteren Vergütungsbestandteile wird auf die Abrechnung für Juli 1993 (Bl. 9 d. A.) verwiesen.
Am 27.12.1991 fanden bei der Beklagten Betriebsratswahlen statt. Ein Bogen zur Erfassung des Betriebsrats-Wahlergebnisses (Bl. 105–106 d. A.) enthält unter anderem die folgenden Daten: Wahlberechtigte 21, Sitzverteilung Gesamt 3, gewählte Betriebsratsmitglieder: Vorsitzende Birgit L., stellvertretende Vorsitzende Gisela B., weitere Betriebsratsmitglieder Dieter St. Der Wahlvorstand gab das Ergebnis der Betriebsratswahl mit Schreiben vom 27.12.1991 (Bl. 43 d. A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, bekannt.
Am 13.07.93 wurde in dem bei der Beklagten eingerichteten Kummerkasten ein anonymes Schreiben (Bl. 44 d. A.), vorgefunden, in dem es hieß:
„Eine Schwester Kattlien soll die Frau geschlagen haben, die die Scheibe der Eingangstür eingeschlagen hat!”
Bei der „Schwester Kattlien” handelte es sich um die Krankenschwester Cathleen F., geb. N.
Am 14.07.93 wurden die in dem Schreiben erhobenen Vorwürfe auf einer Betriebsversammlung erörtert. Frau L. war auf dieser Versammlung nicht anwesend.
Am 16.07.93 ging der Beklagten ein von der Klägerin und ihrer Kollegin S. verfaßtes Schreiben vom 15.07.93 (Bl. 29 d. A.) zu, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Der Geschäftsführer der Beklagten Uwe Se. berief daraufhin noch für denselben Tag um 13.00 Uhr erneut eine Versammlung der Mitarbeiter ein. Auch an dieser Versammlung nahm Frau L. nicht teil. Herr St. war am 16.07.93 krankheitsbedingt abwesend.
Am 26.07.93 ging bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe eine anonyme Anzeige ein (Bl. 45 d. A.), in der derselbe Vorwurf erhoben wurde wie in dem Schreiben, das am 13.07.93 im Kummerkasten vorgefunden worden war.
Die Beklagte sprach der Klägerin mit einem dieser am 29.07.93 zugegangenen Schreiben vom 26.07.93 (Bl. 10–12 d. A.) eine fristlose Kündigung aus.
Zur Beteiligung des Betriebsrats heißt es im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils:
„Die beklagte Partei … informierte am 16. Juli 1993 auch die Betriebsratsvorsitzende Frau L. über ihre Absicht, der klagenden Partei und der Klägerin S. des Parallelverfahrens außerordentlich fristlos zu kündigen, wenn diese nicht noch am selben Tage die Vorwürfe zurücknähmen und sich entschuldigten.”
Die Klägerin hat geltend gemacht, ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung liege nicht vor. Außerdem sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Sie hat am 17. August 1993 Klage eingereicht und beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Juli 1993 – der Klägerin zugegangen am 29. Juli 1993 – nicht aufgelöst ist, sondern fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtswirksamen Abschluß des Rechtsstreits über die Wirksamkeit der Kündigung tatsächlich zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Klägerin und Frau S. hätten bei der Versammlung am 14.07.93 trotz entgegenstehender Erklärungen der Mitarbeiterinnen N. und P. in unsachlicher Art. und Weise den Vorwurf erhoben, es sei eine Heimbewohnerin von Frau N. geschlagen worden. Durch das Verhalten der Klägerin am 14.07.93 und die verbalen Angriffe in dem Schreiben vom 15.07.93 seien das Vertrauensverhältnis und der Betriebsfrieden derart nachhaltig gestört, daß eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar sei. Einige Mitarbeiter hätten mit der Klägerin nicht mehr in einer Schicht zusammenarbeiten wollen. Ihr Geschäftsführer Uwe Se. habe bereits damals den Verdacht gehabt, daß der Zettel aus dem Kummerkasten von der Klägerin bzw. der Zeugin S. verfaßt worden sei. Dieser Verdacht habe sich – wie ein Schriftvergleich des Kummerkastenzettels, des Schreibens der Klägerin und der Frau S. vom 15.07.93 und der am 26.07.93 bei der Staatsanwaltschaft Itze...