Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligung wegen Behinderung im Auswahlverfahren einer Stellenbesetzung. Kausalität zwischen Behinderung und negativer Auswahlentscheidung. Recht des schwerbehinderten Bewerbers auf ein Vorstellungsgespräch beim öffentlichen Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Benachteiligung wegen Behinderung liegt gem. §§ 1 AGG, 164 Abs. 2 SGB IX im Rahmen einer Auswahlentscheidung zur Stellenbesetzung dann vor, wenn der Beschäftigte oder Bewerber nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgesondert wird. Die Benachteiligung liegt hier in der Versagung einer Chance. Sind bereits die Chancen eines Bewerbers durch ein diskriminierendes Verhalten beeinträchtigt worden, kommt es regelmäßig nicht mehr darauf an, ob eine nach § 1 AGG verbotene Anknüpfung bei der sich an das Auswahlverfahren anschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat.
2. Ein Anspruch auf Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG kommt nur in Betracht, wenn die Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung des Bewerbers erfolgte. Diese geforderte Kausalität setzt lediglich voraus, dass die Schwerbehinderung mitursächlich für die negative Auswahlentscheidung war. Sie muss nicht der alleinige Grund oder das Hauptmotiv für die negative Auswahlentscheidung gewesen sein. Zur Darlegung der Kausalität reicht es aus, dass der schwerbehinderte Bewerber Indizien vorträgt, die eine Beeinträchtigung wegen seiner Schwerbehinderung vermuten lassen (§ 22 AGG).
3. Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber auch dann die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Wird ihm diese Möglichkeit genommen bzw. nicht gewährt, liegt darin eine weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 2; SGB IX § 164 Abs. 2 S. 1, § 165 S. 3; AGG §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1 S. 2, § 15 Abs. 2 S. 1, § 22
Verfahrensgang
ArbG Flensburg (Entscheidung vom 30.08.2018; Aktenzeichen 2 Ca 6/18) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 30.08.2018, Az. 2 Ca 6/18, wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem schwerbehinderten Kläger ein Entschädigungsanspruch nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zusteht, weil die Beklagte ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat.
Die Beklagte betreibt das K. in F. (K.) und ist damit eine öffentliche Arbeitgeberin. Das K. hat eine Schwerbehindertenquote von rund 16 %.
Der heute 62-jährige Kläger schloss Mitte der 80er Jahre an der Hochschule der B. das Studium Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Kraftfahrzeugtechnik und Verbrennungskraftmaschinen erfolgreich mit der Note "gut" ab.
Das K. in F. stellte in ihrem Online-Portal ein Stellenangebot mit u.a. folgendem Inhalt ein (Bl. 4 f. d.A.):
"Ingenieure/-innen (FH - Diplom/Bachelor) der Fachrichtungen Kraftfahrzeugtechnik, Maschinenbau, Elektrotechnik oder vergleichbarer Fachrichtungen
Der Dienstort ist F.
Bewerbungsfrist: 12. Juni 2017
...
Aufgabengebiet
Ihre Aufgabenschwerpunkte liegen in der
- eigenverantwortlichen Erteilung von Typengenehmigungen für Straßenfahrzeuge oder Fahrzeugteile nach nationalen oder internationalen Vorschriften,
- Überprüfung der Hersteller ggf. auf vor Ort und
- Beratung der Hersteller und Technischen Dienste.
Anforderungen
Sie haben ihr Studium erfolgreich abgeschlossen, sind befähigt, Innovationen im Kraftfahrzeugwesen im Rahmen der technischen Vorschriften zu beurteilen, anstehende Probleme schnell zu erkennen und pragmatische und rationelle Lösung zu entwickeln?
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Arbeitgeberleitungen
Wir bieten eine interessante und abwechslungsreiche Beschäftigung in einer modernen Verwaltung nach den Bedingungen des öffentlichen Dienstes in der Entgeltgruppe 11 TVöD. Ihre Berufserfahrung wird bei der Bemessung des Eingangsentgelts berücksichtigt.
...
Besondere Hinweise
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Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher fachlicher Eignung bevorzugt eingestellt. Es wird ein Mindestmaß an körperlicher Eignung verlangt.
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Bewerbungsverfahren
Sollte Ihr Interesse geweckt worden sein, bewerben Sie sich bitte bis zum 12.06.2017 über das Elektronische Bewerbungsverfahren (EBV) auf der Einstiegsseite ...
..."
Auf diese Ausschreibung bewarb sich der Kläger, der mit einem Grad von 60 schwer-behindert ist, mit seiner online-Bewerbung vom 23.05.2017 mit den üblichen Bewerbungsunterlagen (Lebenslauf Bl. 207 f. d. A., Diplom-Urkunde der B.-Hochschule Bl. 209 d. A., Abschlusszeugnis der B.-Hochschule Bl. 210 d. A.). Sowohl im vorgegebenen Bewerbungsformular als auch im beigefügten Lebenslauf wies er auf diese Schwerbehinderteneigenschaft ausdrücklich hin. Auf die Stelle bewarben sich 48 Bewerber/innen, hierunter ein weiterer schwerbehinderter Bew...