Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragliche Regelungslücke. Ergänzende Vertragsauslegung bei einer Regelungslücke. Regelungslücke in einer betrieblichen Invaliditätsversorgungsordnung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn der Vertrag bzw. die vertragliche Zusage eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm bzw. ihr zugrundeliegenden Regelungsplan zu verwirklichen. Ohne eine Vervollständigung des Vertrags bzw. der Zusage kann eine angemessene interessengerechte Lösung nicht zu erzielen sein.
2. Liegt eine Regelungslücke vor, ist der hypothetische Wille der Parteien des Vertrags oder der Partei der Zusage als Grundlage für die Ergänzung des Vertragsinhalts bzw. der Zusage zu ermitteln. Es ist darauf abzustellen, was die Vertragsparteien bzw. der Zusagende bei angemessener Abwägung ihrer bzw. seiner Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart haben oder vereinbaren bzw. zusagen wollten.
3. Knüpfen die Regelungen einer betrieblichen Invaliditätsversorgungsordnung an Begriffe der gesetzlichen Rentenversicherung an und ändern sich diese Begriffe, kann die Invaliditätsversorgungsordnung lückenhaft werden. Sie ist dann nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung an die neue Rechtslage anzupassen.
Normenkette
SGB VI § 102 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 30.01.2020; Aktenzeichen 1 Ca 1443 c/19) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 30.01.2020 - 1 Ca 1443 c/19 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.187,55 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 06.11.2019 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 81,90 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 01.01.2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 163,80 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 09.05.2020 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten Rechtsstreits (beide Instanzen).
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf eine sogenannte "Invaliditätsversorgung" hat.
Der Kläger trat am 02. Januar 1995 in die Dienste der Beklagten ein, einem Unternehmen der Druckbranche.
Unter dem 02. Januar 2000 erteilte die Beklagte dem Kläger ausweislich der in Kopie zur Akte gereichten Urkunde eine Versorgungszusage zur Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenen-Versorgung.
In der Urkunde heißt es unter anderem:
Altersversorgung
Wenn Sie in den Diensten unserer Firma das 65. Lebensjahr vollenden und in den Ruhestand treten, so gewähren wir Ihnen eine lebenslängliche monatliche Altersrente von 150,00 DM.
Invaliditätsversorgung
Bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts erhalten Sie lebenslänglich, längstens jedoch für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit, eine monatliche Invalidenrente. Die Höhe der Invalidenrente mit Einschluß der Anwartschaft auf Witwenrente wird aus dem Teilwert dieser Versorgungszusage bei Eintritt des Versorgungsfalles nach den "Richttafeln für die Pensionsversicherung" von Dr. H. - Dr. F. mit einem Rechnungszins von 5,5% berechnet.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urkunde wird Bezug genommen auf Blatt 5 der erstinstanzlichen Prozessakte.
Mit Rentenbescheid vom 07. Juni 2018 teilte die Deutsche Rentenversicherung dem Kläger mit, er erhalte auf seinen Antrag vom 20. Juni 2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. In dem Bescheid heißt es, die Rente beginne am 01. Juni 2017, sei befristet und ende mit dem 31. Mai 2020. Der Anspruch sei befristet, weil es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des 31. Juli 2017.
Der Kläger hat erstinstanzlich für die Zeit zwischen dem 01. Juni 2017 und 31. Oktober 2019 betriebliche Invaliditätsversorgungsansprüche auf der Grundlage der Versorgungszusage in Höhe von insgesamt 1.187,55€ brutto geltend gemacht und für die Zeit vom 01. November 2019 bis 31. Dezember 2019 in Höhe von insgesamt 81,90€ brutto. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Ausführungen in der Klagschrift. Die Beklagte hat die Berechnung des Klägers in der Höhe nicht bestritten.
Der Kläger hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, mit dem Rentenbescheid vom 07. Juni 2018 seien die Voraussetzungen aus der Versorgungszusage vom 02. Januar 2000 erfüllt. Dies ergebe sich daraus, dass bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach §102 Abs. 2 SGB VI die Befristung gesetzlich vorgeschrieben sei. Primär gehe das Gesetz von einer fortlaufenden und lediglich neu zu beantragenden Fortzahlung der bewilligten Erwerbsminderungsrente aus. Die Befristung sei daher für den Anspruch aus der...