Prof. Dr. Thomas A. Martin, Dr. Martina Mühlbauer
Trotz der formellen Trennung von Jahresabschluss und Lagebericht gemäß § 264 Abs. 1 HGB sind beide Rechnungslegungsinstrumente nicht voneinander unabhängig: Auch für den Lagebericht gilt die Generalnorm, wonach "ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild" zu vermitteln ist. Für den Jahresabschluss bezieht sich dies explizit auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage, für den Lagebericht auf den Geschäftsverlauf (einschließlich des Geschäftsergebnisses) und die Lage der Gesellschaft. Im Unterschied zum Jahresabschluss enthält die Generalnorm des § 289 HGB keine Bezugnahme auf die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB). Hierdurch soll dem Lagebericht im Hinblick auf dessen Hauptzweck der Informationsvermittlung die Möglichkeit einer umfassenderen Gesamtdarstellung der Lage eröffnet werden, womit auf die GoB zurückzuführende Informationshemmnisse (insbesondere aufgrund des Vorsichtsprinzips) überwunden werden sollen.
In seiner Konzeption als Berichterstattungsinstrument verfolgt der Lagebericht also neben der Rechenschaftsfunktion eine darüber hinausgehende Informationsfunktion, weil es dem Adressaten allein durch den Jahresabschluss nur begrenzt ermöglicht wird, die tatsächliche Lage der Gesellschaft zu erkennen.
Erreicht wird dies insbesondere durch die Ergänzungs- und Erläuterungsfunktion des Lageberichts, da der Jahresabschluss selbst eine wertfreie, beschreibende Darstellung liefert und keine Erläuterungspflicht aller wesentlichen Einzelposten besteht. Im Rahmen der Ergänzungsfunktion sollen zum einen aus zeitlicher Perspektive nicht nur vergangenheitsorientierte, sondern vielmehr auch zukunftsorientierte Informationen geliefert werden; zum anderen dient die sachliche Ergänzungsaufgabe der Vermittlung eines wirtschaftlichen Gesamtbildes des Unternehmens.