Dr. Christian Schlottfeldt
3.1 Individualarbeitsrecht: Flexibilisierungsabrede vs. Wertguthabenvereinbarung
Als Teil der auch im Arbeitsrecht grundsätzlich geltenden Vertragsfreiheit können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Ansparung von Arbeitszeiten und/oder Entgeltansprüchen zum Zwecke einer Freistellung vereinbaren, soweit nicht höherrangige Rechtsvorschriften entgegenstehen. Soweit ein auf den Arbeitsvertrag anwendbarer Tarifvertrag keine entsprechende Öffnung für Langzeitkonten enthält, kann die Eröffnung von Wahlmöglichkeiten des Arbeitnehmers zwischen Auszahlung von Entgelten und Verbuchung als Wertguthaben im Rahmen des Günstigkeitsprinzips (Zulässigkeit günstigerer Regelungen) zulässig sein.
Außerhalb tarifvertraglicher Regelungen sind insbesondere die arbeitszeitschutzrechtlichen Grenzen zu beachten. Soweit Ansparguthaben als Wertguthaben verbucht werden sollen, müssen entsprechende Vereinbarungen den vorstehend dargestellten Anforderungen genügen. In Unternehmen mit Betriebsrat empfiehlt sich auch vor dem Hintergrund der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Abschluss einer Rahmenbetriebsvereinbarung, auf die in individualrechtlichen Regelungen Bezug genommen werden kann.
3.2 Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
3.2.1 Einlagen aus "Zeit"
Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG hat der Betriebsrat u. a. bei der Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage und der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit mitzubestimmen. Soweit Einlagen auf Langzeitkonten aus "Zeit" (geleisteter Arbeitszeit) generiert werden, setzen solche Modelle eine (ggf. auch strukturelle) Differenz zwischen Vertragsarbeitszeit und tatsächlicher Arbeitszeit voraus, etwa in Form der für einen definierten Zeitraum festgelegte planmäßigen Überschreitung der Vertragsarbeitszeit, z. B. "100 % Arbeitszeit bei 80 % Entgelt").
Derartige "Überschreitungsmodelle" unterliegen sowohl hinsichtlich der Verteilung der zu leistenden Arbeitszeit als auch des Volumens der Überschreitung der Mitbestimmung des Betriebsrats. Entsprechendes gilt für Regelungen, nach denen außerplanmäßige Mehrleistungen innerhalb des Ausgleichszeitraums (z. B. nicht ausgeglichene Zeitsalden am Ende des Ausgleichszeitraums des laufenden Zeitkontos – Ausgleichskonto) auf ein Langzeitkonto übertragen werden können – unabhängig davon, dass derartige "Überlaufmodelle" in der Regel nicht empfehlenswert sind.
3.2.2 Einlagen in Langzeitkonten aus "Geld"
Darüber hinaus hat der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, soweit nicht eine gesetzliche oder – was hier eher maßgeblich wäre – tarifvertragliche Regelung besteht.
Für den Aufbau von Langzeitkonten auf der Basis von "Geld"-Einlagen durch Umwidmung von Entgelt(zahlungs)ansprüchen (z. B. Einmalzahlungen, Zulagen und Zuschläge, ggf. auch laufendes Entgelt) in Ansprüche auf Freistellung bei fortlaufendem Entgelt bedeutet das, dass auch solche "Umwidmungsmodelle" mitbestimmungspflichtig sind. Denn mit der kollektiven Eröffnung von Wahlmöglichkeiten etwa hinsichtlich der Auszahlung von Prämien wird ein Entlohnungsgrundsatz eingeführt, bei dessen Ausgestaltung der Betriebsrat mitzubestimmen hat.
3.2.3 Entnahmen aus Langzeitkonten
Bei Guthaben des Arbeitnehmers auf Langzeitkonten handelt es sich um individualrechtliche Ansprüche auf Freistellung von der Arbeitspflicht, ähnlich einem Urlaubsanspruch. Die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarte Entnahme unterliegt nicht der Mitbestimmung, sofern sich dadurch keine Auswirkungen auf andere Arbeitnehmer ergeben (z. B. Anordnung von Mehrarbeit gegenüber den nicht freigestellten Arbeitnehmern, um das fehlende Arbeitszeitvolumen zu kompensieren).
Für die betriebliche Praxis empfiehlt es sich, die Grundsätze der Inanspruchnahme von Langzeitkonten für individuelle Freistellungszwecke in einer Betriebsvereinbarung zu regeln. Dabei sollten insbesondere Verfahrensregelungen (zeitlicher Vorlauf der Planung längerer Freistellungen, Verknüpfung mit Urlaubsplanungen, Umgang mit "Störfällen" etc.) festgehalten werden.
Aufbau und Inanspruchnahme von Langzeitkonten, die (auch) als Beschäftigungssicherungskonten nutzbar sind, bedürfen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG der Regelung durch Betriebsvereinbarung. Denn derartige Konten setzen beim Aufbau eine kollektive Abweichung vom "Grundmodell" der Arbeitszeitverteilung voraus (z. B. kollektives Ansparen von Freischichten statt zeitnahe Gewährung), wodurch der Mitbestimmungstatbestand der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit erfüllt wird. Dies gilt entsprechend für die Entnahme zur Überbrückung einer Unterauslastung, die strukturell eine Abweichung vom Arbeitszeit-Grundmodell "nach unten" beinhaltet und deshalb die Anpassung des Modells erfordert (z. B. Absage von Schichten).
3.3 Arbeitszeitschutzrecht: Zulässige Grenzen für den Aufbau von Zeitkonten
Die auf Arbeitszeitkonten verbuchte Arbeitszeit darf das gesetzlich zulässige Arbeitszeitvolumen nicht überschreiten. Dies gilt auch für Langzeitkonten.
Soweit mehr als 8 Stunden werktägliche Arbeitszeit geleistet (und auf Zeitkonten verbucht) werden, muss diese Differenz al...