Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
1. Herkömmliches Empfangsbekenntnis
Rz. 435
Die Zustellung mittels Empfangsbekenntnis ist in § 174 ZPO geregelt. § 174 ZPO lautet heute:
§ 174 ZPO Zustellung gegen Empfangsbekenntnis
(1) Ein Schriftstück kann an einen Anwalt, einen Notar, einen Gerichtsvollzieher, einen Steuerberater oder an eine sonstige Person, bei der auf Grund ihres Berufes von einer erhöhten Zuverlässigkeit ausgegangen werden kann, eine Behörde, eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden.
(2) 1An die in Absatz 1 Genannten kann das Schriftstück auch durch Telekopie zugestellt werden. 2Die Übermittlung soll mit dem Hinweis
Zustellung gegen Empfangsbekenntnis
eingeleitet werden und die absendende Stelle, den Namen und die Anschrift des Zustellungsadressaten sowie den Namen des Justizbediensteten erkennen lassen, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat.
(3) 1An die in Absatz 1 Genannten kann auch ein elektronisches Dokument zugestellt werden. 2Gleiches gilt für andere Verfahrensbeteiligte, wenn sie der Übermittlung elektronischer Dokumente ausdrücklich zugestimmt haben. 3Für die Übermittlung ist das Dokument mit einer elektronischen Signatur zu versehen und gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen. 4Die Übermittlung kann auch über De-Mail-Dienste im Sinne von § 1 des De-Mail-Gesetzes erfolgen.
(4) 1Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist. 2Das Empfangsbekenntnis kann schriftlich, durch Telekopie oder als elektronisches Dokument (§ 130a) zurückgesandt werden. 3Wird es als elektronisches Dokument erteilt, soll es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden.
Rz. 436
Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis setzt zunächst eine erkennbare Zustellungsabsicht voraus. Wird ein Schriftstück formlos übermittelt oder geht gleichzeitig ein Widerruf zu, fehlt es am Zustellungswillen.
Rz. 437
Als Zustellungsdatum ist der Tag anzusehen, an dem der Anwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und dieses empfangsbereit entgegengenommen hat. Ein Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde i.S.d. § 416 ZPO den Beweis sowohl für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt als auch den Beweis für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Die Empfangsbereitschaft ist zwingende Voraussetzung einer wirksamen Zustellung, denn wie der Wortlaut in § 174 Abs. 2 ZPO vorgibt, erfordert die wirksame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis eine entsprechende Bestätigung des Zustellungsadressaten. Ein unterzeichnetes Empfangsbekenntnis ist grundsätzlich Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung. Kann die Empfangsbereitschaft anderweitig festgestellt werden, ist eine Heilung des Zustellungsmangels möglich, auch wenn das Empfangsbekenntnis nicht zurückgereicht wird.
Rz. 438
Wird an mehrere Prozessbevollmächtigte zugestellt, so ist für den Beginn des Laufs der prozessualen Frist die zeitlich erste Zustellung ausschlaggebend.
Rz. 439
Nach unserer Auffassung sollten grundsätzlich mit Posteingang die entsprechenden Fristen notiert werden. Dem Anwalt ist sodann das Schriftstück vorzulegen. Kann er es nicht am Tag des Posteingangs zur Kenntnis nehmen, sondern erst (im Rahmen der berufsrechtlich erlaubten Ortsabwesenheit oder Verhinderung von einer Woche, vgl. § 53 BRAO) einen oder mehrere Tage später, sollte er auf dem Empfangsbekenntnis auch das Datum angeben, wann er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Die Frist ist dann ggf. umgehend auf das korrekte Datum umzutragen. Eine willkürliche Vor- oder Rückdatierung des Empfangsbekenntnisses ist nicht zulässig.
Rz. 440
Nach Ansicht des BGH ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in einem Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben grundsätzlich zulässig. An den Gegenbeweis werden hohe Anforderungen gestellt; denn der Anwalt muss die Beweiswirkung des § 174 ZPO vollständig entkräften und "jede Möglichkeit ausschließen, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können." Die "Möglichkeit der Unrichtigkeit" reicht allein nicht aus, wenn damit die Angaben lediglich erschüttert werden. Die Beweiswirkung eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses (EB) entfällt aber, sobald sein Inhalt vollständig entkräftet ist und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben im Empfangsbekenntnis richtig sein können. Das könnte z.B. dann der Fall sein, wenn ein EB das Datum 12.11.2016 trägt, jedoch bereits am 11.11.2016 bei Gericht per Fax eingeht.
Rz. 441
Äußerst bedenklich ist auch das bewusste Sich-Verschließen vor der Kenntnisnahme, denn das BVerfG vertritt hier eine sehr stringente Auffassung:
Zitat
"Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, ein bewusstes Sich-Verschließe...