Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
Rz. 63
Bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge ist zwischen statischen und dynamischen Verweisen zu unterscheiden, wobei die dynamische Verweisung als "kleine" und "große" dynamische Verweisung ausgestaltet werden kann.
Rz. 64
Mit der statischen Verweisung wird die zum Zeitpunkt des Arbeitsvertragsschlusses geltende Fassung eines Tarifvertrags zum Vertragsgegenstand gemacht. Zukünftige Änderungen oder Ablösungen des Tarifvertrags haben kraft Bezugnahme keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis.
Rz. 65
Mit einer kleinen dynamischen Verweisung wird die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrags in seiner jeweils geltenden Fassung vereinbart. Auf diese Weise finden künftige Änderungen des Tarifvertrags Anwendung auf das Arbeitsverhältnis, ohne dass es hierzu einer Änderungsvereinbarung bedarf. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist bei fehlender Angabe einer konkret nach Datum bezeichneten Fassung des in Bezug genommenen Tarifvertrags regelmäßig anzunehmen, der Tarifvertrag solle in der jeweiligen Fassung gelten.
Rz. 66
Die sog. große dynamische Verweisung (auch "Tarifwechselklausel") erweitert die kleine dynamische Verweisung um ein Flexibilisierungselement hinsichtlich des anzuwendenden Tarifvertrags. Anstatt auf einen bestimmten Tarifvertrag zu verweisen, sieht sie die Anwendung des jeweils für das Arbeitsverhältnis betrieblich und persönlich einschlägigen Tarifvertrags vor. Auf diese Weise kann z.B. im Falle einer örtlichen Versetzung, aber auch im Falle eines Branchenwechsels nach einem Betriebsübergang die Anwendbarkeit des dann einschlägigen Tarifvertrags erreicht werden. Eine dynamische Verweisung auf das jeweils gültige Tarifrecht ist nicht unklar, weil die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung geltenden, in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind. Eine solche Klausel verletzt daher das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht. Nachdem das BAG den Grundsatz der Tarifeinheit zwischenzeitlich aufgegeben hat, kann allerdings die Situation eintreten, dass bei fehlender Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers mehrere Tarifverträge als einschlägig in Betracht kommen. Für diesen Fall sollten zusätzliche Kriterien in die Klausel aufgenommen werden, nach denen auch bei mehreren einschlägigen Tarifverträgen der anzuwendende eindeutig bestimmt werden kann, so z.B. durch Verweis auf das Spezialitätsprinzip oder die Kollisionsregeln des § 4a TVG. Vor dem Hintergrund der neuen gesetzlichen Anwendungsgrundsätze nach Maßgabe des Tarifeinheitsgesetzes ist sowohl der Auslegung, als auch der zukünftigen Formulierung von Bezugnahmeklauseln besondere Beachtung zu schenken.
Rz. 67
In Bezug genommene Tarifverträge unterliegen grundsätzlich nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle. Dies beruht darauf, dass die zwischen den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Vereinbarungen die Vermutung der Ausgewogenheit in sich tragen (zum Bereichsausschluss für Tarifverträge siehe Rdn 14). Die Bezugnahmeklauseln selbst sind allerdings der Inhaltskontrolle nicht entzogen. Geprüft wird dabei, ob der Verweis die Interessen beider Vertragspartner angemessen berücksichtigt. Soweit ein einschlägiger Tarifvertrag in Bezug genommen wird, wird die Angemessenheit der Bezugnahme wiederum vermutet. Anders wird von der ganz überwiegenden Meinung die Bezugnahme auf branchenfremde Tarifverträge beurteilt, da diesen ggf. ganz andere ökonomische und betriebliche Bedingungen zugrunde liegen. Ein solcher Verweis ist zudem, wird nicht ausdrücklich auf die Branchenfremdheit hingewiesen, für den Arbeitnehmer überraschend.
Rz. 68
Bleibt nach Auslegung der Verweisungsklausel unklar, ob eine statische oder eine dynamische Verweisung gewollt ist, ist nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bei der Verweisung auf Entgelttarifverträge von einer dynamischen Verweisung auszugehen, da sich die Vergütung in Entgelttarifverträgen für den Arbeitnehmer in der Regel verbessert und nicht verschlechtert. Dies gilt jedoch nicht für Manteltarifverträge, denn diese lassen sich aufgrund ihrer komplexen Gestaltung und ihrer Änderungsdynamik schlechthin nicht abstrakt als günstiger oder weniger günstig qualifizieren. Besteht Unklarheit darüber, welcher Tarifvertrag in Bezug genommen werden sollte, ist die Unklarheitenregel nicht anwendbar, da ein Günstigkeitsvergleich auch hier nicht stattfinden kann. Ggf. muss die dann bestehende Regelungslücke durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden.
Rz. 69
Probleme bei der Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln haben sich im Zusammenhang mit der Ablösung des BAT durch verschiedene andere Tarifwerke ergeben. Ob ein Verweis auf den BAT impliziert, dass nach dessen Außerkrafttreten die an seine Stelle getretenen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (z.B. des TVÖD oder des TV-L) oder der BAT in seiner letzten Fassung Anwendung finden sollen, ist durch Auslegung der jeweiligen Bezugnahmeklausel zu ermitt...