I. Begriff und Zweck der "Vertragsstrafe"

1. Begriff

 

Rz. 2281

Der BGH hat den Begriff der Vertragsstrafe in anschaulicher Weise wie folgt definiert: "Unter einer Vertragsstrafe wird das Versprechen einer Zahlung (§ 339 BGB) oder einer anderen Leistung (§ 342 BGB) durch den Schuldner verstanden für den Fall, dass dieser eine Verbindlichkeit nicht oder in nicht gehöriger Weise, insbesondere nicht rechtzeitig (§ 341 BGB) erfüllt".[4249] Mit dieser Definition stellt der BGH auf das unselbstständige Strafversprechen ab, das in den §§ 339 ff. BGB geregelt ist. Es dient der Sicherung einer Hauptverbindlichkeit und ist von ihr abhängig (akzessorisch).[4250] Als Hauptverbindlichkeit kommen auch vertragliche Nebenpflichten oder gesetzliche Pflichten in Betracht.[4251]

 

Rz. 2282

Vom unselbstständigen Strafversprechen unterscheidet sich das selbstständige Strafversprechen nach § 343 Abs. 2 BGB, das für den Fall versprochen wird, dass der Schuldner eine von ihm an sich nicht geschuldete Handlung vornimmt oder dass er eine Handlung unterlässt, zu der er nicht verpflichtet ist.[4252] Im Gegensatz zum unselbstständigen Strafversprechen ist das selbstständige Strafversprechen nicht akzessorisch.

[4250] Beck'scher Online-Kommentar/Janoschek, 41. Ed. 1.11.2016, BGB § 339 Rn 3; Palandt/Grüneberg, § 339 Rn 13.
[4251] BGH, Urt. v. 28.1.1993 – I ZR 294/90, NJW 1993, 1786, 1787; Beck'scher Online-Kommentar/Janoschek, BGB § 339 Rn 3 m.w.N.
[4252] Dazu MüKo/Gottwald, § 343 Rn 23 f.; v. Westphalen/­Thüsing, Vertragsstrafe Rn 2 m.w.N.

2. Zweck

 

Rz. 2283

Die Vertragsstrafe hat eine Doppelfunktion. Vorrangig dient sie dem Zweck, Druck auf den Vertragspartner auszuüben, um die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung zu sichern.[4253] Darüber hinaus soll sie dem Gläubiger aber auch eine erleichterte Schadloshaltung ohne Einzelnachweis ermöglichen.[4254] Insofern enthält jede Vertragsstrafe neben der Erfolgssicherung auch ein schadensersatzrechtliches Moment.[4255]

[4253] BGH, Urt. v. 25.11.1982 – III ZR 92/81, NJW 1983, 1542; BGH, Urt. v. 16.11.1967 – VIII ZR 81/65, NJW 1968, 149, 150; UBH/Fuchs, § 309 Nr. 5 Rn 11; v. Westphalen/­Thüsing, Vertragsstrafe Rn 2.
[4254] BGH, Urt. v. 18.11.1982 – VII ZR 305/81, NJW 1983, 385, 387; BGH, Urt. v. 28.1.1993 – I ZR 294/90, NJW 1993, 1786, 1787 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.6.2007 – 24 U 207/06, NZM 2008, 611; OLG Nürnberg, Urt. v. 5.2.2002 – 1 U 2314/01; NJW-RR 2002, 917; Palandt/Grüneberg, § 276 Rn 26; Staudinger/Coester-Waltjen, § 309 Nr. 5 Rn 3; UBH/Fuchs, § 309 Nr. 5 Rn 11.

II. Gesetzliche Schranken

 

Rz. 2284

Zum Schutz des Schuldners vor überhöhten Vertragsstrafeforderungen sieht § 343 BGB vor, dass unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafen durch Urteil herabgesetzt werden können. Diese Vorschrift findet auf Vertragsstrafeversprechen, die von Kaufleuten im Betrieb ihres Handelsgewerbes abgegeben werden, allerdings keine Anwendung (§ 348 HGB).

 

Rz. 2285

Erhebliche Risiken für den Schuldner ergeben sich insbesondere aus der Verwendung formularmäßiger Vertragsstrafeklauseln, da sie den AGB-Verwender in die Lage versetzen, seine Vertragspartner in unangemessener Weise zu benachteiligen.[4256] Vertragsstrafen können unabhängig vom Eintritt eines tatsächlichen Schadens geltend gemacht werden und verschaffen dem Klauselverwender dadurch die Möglichkeit, sich auf Kosten seiner Vertragspartner ungerechtfertigt zu bereichern.[4257] Ferner können Vertragsstrafeversprechen bewirken, dass der Vertragspartner zu unwirtschaftlichen Handlungen veranlasst wird, um die Zahlung der Vertragsstrafe zu vermeiden.[4258] Zwar konnte sich die Forderung nach einem generellen Verbot von Vertragsstrafeklauseln im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen,[4259] doch verbietet § 309 Nr. 6 BGB die Verwendung von Vertragsstrafeklauseln gegenüber Verbrauchern für bestimmte, im Gesetz ausdrücklich genannte Fallkonstellationen (siehe hierzu Rdn 2291 und die Kommentierung zu § 309 Nr. 6).

 

Rz. 2286

Neben § 309 Nr. 6 BGB bestehen weitere spezialgesetzliche Verbots- oder Gebotsnormen, welche individualvertragliche oder formularmäßige Vertragsstrafevereinbarungen entweder untersagen oder deren mögliche wirksame Ausgestaltung beschränken. Beschränkungen enthalten beispielsweise § 10 GasGVV und § 10 StromGVV für Energielieferverträge mit Haushaltskunden sowie § 23 AVBFernwärmeV und § 23 AVBWasserV für Vertragsverhältnisse über Wärme- bzw. Wasserlieferungen. Nach § 555 BGB sind Vereinbarungen unwirksam, durch die dem Mieter eine Vertragsstrafe auferlegt wird. Eine ähnliche Regelung enthält § 2 Abs. 5 Nr. 1 FernUSG für Fernunterrichtsverträge. Danach sind Vertragstrafen zulasten des Teilnehmers unwirksam. § 12 Abs. 2 Nr. 2 BBiG sieht vor, dass Vertragstrafen in Berufsausbildungsverträgen nichtig sind.

 

Rz. 2287

AGB-Klauseln, die den vorgenannten Vorschriften zuwiderlaufen, verstoßen gegen § 307...

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