Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
I. Unangemessene Benachteiligung wegen der Verletzung wesentlicher Vertragspflichten (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB)
1. Wesentliche Vertragspflichten
Rz. 949
Haftungsfreizeichnungen für Pflichtverletzungen, die auf einfacher Fahrlässigkeit beruhen, werden – mit Ausnahme der Freizeichnung für die schuldhafte Verursachung von Körperschäden – nicht vom Klauselverbot des § 309 Nr. 7 BGB erfasst. Ihre Zulässigkeit beurteilt sich nach § 307 BGB. Danach sind Haftungsfreizeichnungen unwirksam, wenn sie die Verwendergegenseite entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Rz. 950
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist von einer unangemessenen Benachteiligung der Verwendergegenseite dann auszugehen, wenn der Klauselverwender seine Haftung für die schuldhafte Verletzung wesentlicher Vertragspflichten ausschließt oder dergestalt beschränkt, dass dadurch die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wird (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Neben dem in der Praxis gelegentlich anzutreffenden Begriff "vertragswesentliche Pflichten" werden die wesentlichen Vertragspflichten in Rechtsprechung und Schrifttum auch häufig als "Kardinalpflichten" bezeichnet. Die Frage, inwieweit diese Begrifflichkeiten dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB genügen, ist heftig umstritten (siehe hierzu Rdn 959 ff.).
Rz. 951
Als wesentliche Vertragspflichten bzw. Kardinalpflichten sieht der BGH solche Pflichten an, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erst ermöglicht und auf deren Einhaltung der Vertragspartner vertraut und auch vertrauen darf. Dabei sind die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Hauptpflichten eines Vertrags stets als wesentliche Vertragspflichten i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusehen. Aber auch Nebenleistungspflichten, wie z.B. die Pflicht des Reiseveranstalters, seine Kunden ungefragt über die Einreisebestimmungen zu unterrichten, oder die Obhutspflicht des Krankenhausträgers über die von Patienten eingebrachten Sachen können vertragswesentliche Pflichten begründen.
Rz. 952
Ein vollständiger Ausschluss der Haftung für die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten verstößt bereits bei einfacher Fahrlässigkeit gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Der Verwender kann sich in AGB von seiner Haftung für einfache Fahrlässigkeit nur freizeichnen, wenn keine wesentlichen Vertragspflichten und keine Körperschäden betroffen sind. In diesem Fall können auch Haftungsbegrenzungen jeglicher Art wirksam vereinbart werden.
2. Begrenzung auf den vertragstypisch vorhersehbaren Schaden
Rz. 953
Zwar kann die Haftung für die fahrlässige Verletzung von vertragswesentlichen Pflichten nicht vollständig ausgeschlossen werden. Es besteht jedoch die Möglichkeit, die Ersatzpflicht in diesem Fall auf den vertragstypisch vorhersehbaren Schaden zu begrenzen.
Rz. 954
Eine Definition für den vertragstypisch vorhersehbaren Schaden existiert nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass der vertragstypisch vorhersehbare Schaden über den Durchschnittsschaden hinausgehen kann. Lediglich atypische Schäden bzw. ungewöhnliche Schadenskonstellationen sind einer formularmäßigen Freizeichnung zugänglich. Fraglich ist jedoch, wann eine derartig ungewöhnliche Schadenskonstellation vorliegt. Selbst der BGH räumt ein, dass im Einzelfall nicht immer ganz einfach feststellbar sein wird, ob mit dem Eintritt eines bestimmten Schadens zu rechnen war. Die Praxis verdeutlicht dies. Während beispielsweise die Beschädigung eines Fahrzeuges der Oberklasse noch einen vertragstypisch vorhersehbaren Schaden eines Garagenbetreibers darstellen soll, wird dies für die Beschädigung eines extrem teuren TV-Übertragungswagens verneint. Gegen diese Differenzierung ist einzuwenden, dass die Rechte des...