Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
Rz. 12
Vertragsmuster, die vor dem 1.1.2002 nicht zu beanstanden waren, genügen in den meisten Fällen nicht den verschärften Anforderungen des AGB-Rechts. Durch die aus Praxissicht ungenügende Übergangsbestimmung des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB gilt für Dauerschuldverhältnisse, die vor der Schuldrechtsreform begründet wurden, ab dem 1.1.2003 nur noch das neue Recht. Altverträge, die nicht den Anforderungen des AGB-Rechts entsprechend formuliert waren, werden seitdem an der neuen Gesetzeslage gemessen. Dabei hat der Gesetzgeber nicht angemessen berücksichtigt, dass die Änderung eines Arbeitsvertrags während des laufenden Arbeitsverhältnisses ein ungewöhnliches und deshalb schwieriges Unterfangen ist. Kann die Zustimmung des Arbeitnehmers zum Abschluss eines neuen, AGB-konformen Arbeitsvertrags nicht erreicht werden, steht dem Arbeitgeber nur der Ausspruch einer Änderungskündigung offen, die allerdings praktisch keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Problem der Altverträge ist durch die Entscheidung des Gesetzgebers, auf Bestands- und Vertrauensschutzregelungen zu verzichten, allein das der Arbeitgeber. Arbeitnehmer sind dadurch in der komfortablen Situation, dass weite Teile ihres Arbeitsvertrags der AGB-Kontrolle nicht genügen werden und damit – und das stets zu ihren Gunsten – unwirksam sind.
Rz. 13
In einigen Fällen erscheint der nach neuem Recht zwangsläufige Wegfall einer nun unwirksamen Altklausel auch dem BAG unangemessen. Es hat deshalb mehrfach entschieden, die so entstandene Schieflage durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu beseitigen und anstelle der unwirksamen Regelung eine Vereinbarung unterstellt, wie sie die Arbeitsvertragsparteien in Kenntnis der Anwendbarkeit des AGB-Rechts wohl geschlossen hätten. Der 9. und 10. Senat des BAG haben dies an die Voraussetzung geknüpft, dass der Arbeitgeber innerhalb der Übergangsfrist bis zum 1.1.2003 versucht hat, die unwirksame Klausel durch eine wirksame zu ersetzen, z.B. im Rahmen eines Änderungsangebots zum Arbeitsvertrag. Ein solches Angebot hätte vom Arbeitnehmer redlicherweise angenommen werden müssen. Hat der Arbeitgeber hingegen keine Anstrengungen unternommen, unwirksame Klauseln zu ersetzen, könne nicht ohne weiteres auf einen hypothetischen zeitlich zurückliegenden Willen zur Ergänzung geschlossen werden. Dem ist der 5. Senat des BAG entgegengetreten und hat entschieden, dass ein solcher Änderungsversuch nicht erforderlich sein soll. Eine Möglichkeit der einseitigen Durchsetzung gesetzeskonformer Verträge nach Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB habe es für Altverträge nicht gegeben. Änderungskündigungen hätten dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht standhalten können. Ohne konkreten Anlass unterbreitete Angebote des Arbeitgebers zum Zwecke der Anpassung der Altverträge an die neue Rechtslage hätten zur Verunsicherung ganzer Belegschaften geführt und diese um den ungefährdeten Bestand ihrer Arbeitsverhältnisse fürchten lassen. Zudem wäre die Formulierung gesetzeskonformer Verträge im Jahre 2002 auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen, weil die Entwicklung der Rechtsprechung noch nicht abzusehen war. Trotz der divergierenden Entscheidungen hat der 5. Senat davon abgesehen, die Streitfrage durch den Großen Senat des BAG klären zu lassen, weil sie für die vorangegangenen Entscheidungen der anderen Senate nicht entscheidungserheblich gewesen seien. Bislang ist nicht geklärt, ob die übrigen Senate des BAG die Entscheidung des 5. Senats fortführen werden. Es spricht allerdings einiges dafür, dass die ergänzende Vertragsauslegung ohne Rücksicht auf die Übergangsfrist des Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB auch dann möglich ist, wenn der Arbeitgeber nicht vor dem 1.1.2003 versucht hat, mit dem Arbeitnehmer eine mit dem AGB-Recht konforme Änderung vorzunehmen.