Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
Rz. 17
Mit der gesetzlichen Vorgabe, bei der Anwendung des AGB-Rechts die "arbeitsrechtlichen Besonderheiten" zu berücksichtigen, hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung die Möglichkeit eröffnet, abweichend von den durch die zivilgerichtliche Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ebenso wie von den "starren" Klauselverboten der §§ 308, 309 BGB zu entscheiden, wenn dies sachlich geboten erscheint. Das BAG bezieht den Anwendungsbereich des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB auf alle Normen des AGB-Rechts, nicht nur auf den Bereich der Inhaltskontrolle.
Rz. 18
Besonderheiten in diesem Sinne können rechtlicher wie tatsächlicher Natur sein. Zur ersten Kategorie zählen beispielsweise arbeitsgesetzliche Abweichungen vom Zivilrecht in materieller wie prozessualer Hinsicht. Tatsächliche Abweichungen können nach der neueren Rechtsprechung des BAG beispielsweise in einer langjährig allgemein praktizierten Praxis der Vertragsgestaltung begründet sein. So argumentiert das BAG beispielhaft: "Anrechnungsvorbehalte sind in arbeitsvertraglichen Vergütungsabreden seit Jahrzehnten gang und gäbe. Sie stellen eine Besonderheit des Arbeitsrechts dar, die gem. § 310 Abs. 4 S. 2 BGB angemessen zu berücksichtigen ist." Auch "tatsächliche Besonderheiten des Arbeitslebens" genügten dem BAG als Argument, die Zulässigkeit einer dreimonatigen Ausschlussfrist unter AGB-rechtlichen Gesichtspunkten zu bejahen. Die Großzügigkeit, die das Bundesarbeitsgericht bei der Interpretation des Begriffs "arbeitsrechtliche Besonderheiten" praktiziert, sichert danach einige bewährte, weil als ausgewogen und praxistauglich erkannte Vertragsgestaltungen, die in Formularverträgen außerhalb des Arbeitsrechts sicherlich strenger beurteilt würden. Dies führt einerseits zu praktisch meist zufriedenstellenden Ergebnissen, lässt allerdings die Prognose, wie eine bislang nicht gerichtlich überprüfte Klausel vom BAG bewertet wird, insbesondere aus Arbeitnehmersicht nur sehr schwer zu.
Rz. 19
Der Anwendungsbereich der AGB-Kontrolle soll sich nach Ansicht des BAG auch auf "mündliche oder durch betriebliche Übung begründete Vertragsbedingungen, die der Arbeitgeber für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen verwendet", erstrecken. Eine betriebliche Übung stellt keine Individualabrede i.S.d. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB dar, die Vorrang vor AGB genießen würde. Denn der Inhalt der betrieblichen Übung wird nicht – wie für eine Individualabrede erforderlich – ausgehandelt, sondern einseitig durch das Verhalten des Arbeitgebers bestimmt und somit gestellt.