Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
77.1
A. Allgemeines
I. Begriff und Zweck der "Vertragsstrafe"
1. Begriff
Rz. 2281
Der BGH hat den Begriff der Vertragsstrafe in anschaulicher Weise wie folgt definiert: "Unter einer Vertragsstrafe wird das Versprechen einer Zahlung (§ 339 BGB) oder einer anderen Leistung (§ 342 BGB) durch den Schuldner verstanden für den Fall, dass dieser eine Verbindlichkeit nicht oder in nicht gehöriger Weise, insbesondere nicht rechtzeitig (§ 341 BGB) erfüllt". Mit dieser Definition stellt der BGH auf das unselbstständige Strafversprechen ab, das in den §§ 339 ff. BGB geregelt ist. Es dient der Sicherung einer Hauptverbindlichkeit und ist von ihr abhängig (akzessorisch). Als Hauptverbindlichkeit kommen auch vertragliche Nebenpflichten oder gesetzliche Pflichten in Betracht.
Rz. 2282
Vom unselbstständigen Strafversprechen unterscheidet sich das selbstständige Strafversprechen nach § 343 Abs. 2 BGB, das für den Fall versprochen wird, dass der Schuldner eine von ihm an sich nicht geschuldete Handlung vornimmt oder dass er eine Handlung unterlässt, zu der er nicht verpflichtet ist. Im Gegensatz zum unselbstständigen Strafversprechen ist das selbstständige Strafversprechen nicht akzessorisch.
2. Zweck
Rz. 2283
Die Vertragsstrafe hat eine Doppelfunktion. Vorrangig dient sie dem Zweck, Druck auf den Vertragspartner auszuüben, um die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung zu sichern. Darüber hinaus soll sie dem Gläubiger aber auch eine erleichterte Schadloshaltung ohne Einzelnachweis ermöglichen. Insofern enthält jede Vertragsstrafe neben der Erfolgssicherung auch ein schadensersatzrechtliches Moment.
II. Gesetzliche Schranken
Rz. 2284
Zum Schutz des Schuldners vor überhöhten Vertragsstrafeforderungen sieht § 343 BGB vor, dass unverhältnismäßig hohe Vertragsstrafen durch Urteil herabgesetzt werden können. Diese Vorschrift findet auf Vertragsstrafeversprechen, die von Kaufleuten im Betrieb ihres Handelsgewerbes abgegeben werden, allerdings keine Anwendung (§ 348 HGB).
Rz. 2285
Erhebliche Risiken für den Schuldner ergeben sich insbesondere aus der Verwendung formularmäßiger Vertragsstrafeklauseln, da sie den AGB-Verwender in die Lage versetzen, seine Vertragspartner in unangemessener Weise zu benachteiligen. Vertragsstrafen können unabhängig vom Eintritt eines tatsächlichen Schadens geltend gemacht werden und verschaffen dem Klauselverwender dadurch die Möglichkeit, sich auf Kosten seiner Vertragspartner ungerechtfertigt zu bereichern. Ferner können Vertragsstrafeversprechen bewirken, dass der Vertragspartner zu unwirtschaftlichen Handlungen veranlasst wird, um die Zahlung der Vertragsstrafe zu vermeiden. Zwar konnte sich die Forderung nach einem generellen Verbot von Vertragsstrafeklauseln im Geschäftsverkehr mit Verbrauchern im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen, doch verbietet § 309 Nr. 6 BGB die Verwendung von Vertragsstrafeklauseln gegenüber Verbrauchern für bestimmte, im Gesetz ausdrücklich genannte Fallkonstellationen (siehe hierzu Rdn 2291 und die Kommentierung zu § 309 Nr. 6).
Rz. 2286
Neben § 309 Nr. 6 BGB bestehen weitere spezialgesetzliche Verbots- oder Gebotsnormen, welche individualvertragliche oder formularmäßige Vertragsstrafevereinbarungen entweder untersagen oder deren mögliche wirksame Ausgestaltung beschränken. Beschränkungen enthalten beispielsweise § 10 GasGVV und § 10 StromGVV für Energielieferverträge mit Haushaltskunden sowie § 23 AVBFernwärmeV und § 23 AVBWasserV für Vertragsverhältnisse über Wärme- bzw. Wasserlieferungen. Nach § 555 BGB sind Vereinbarungen unwirksam, durch die dem Mieter eine Vertragsstrafe auferlegt wird. Eine ähnliche Regelung enthält § 2 Abs. 5 Nr. 1 FernUSG für Fernunterrichtsverträge. Danach sind Vertragstrafen zulasten des Teilnehmers unwirksam. § 12 Abs. 2 Nr. 2 BBiG sieht vor, dass Vertragstrafen in Berufsausbildungsverträgen nichtig sind.
Rz. 2287
AGB-Klauseln, die den vorgenannten Vorschriften zuwiderlaufen, verstoßen gegen § 307...