Roland Bornhofen, Prof. Dr. Udo Bühler
1. Zugangsfiktionen
Rz. 187
Zugangsfiktionen und fingierte Erklärungen kommen in der Praxis der Arbeitsvertragsgestaltung in verschiedenen Gewändern daher. Mit einer weit verbreiteten Klausel wird den Arbeitnehmern auferlegt, Änderungen ihrer persönlichen Verhältnisse und damit auch Ihrer Postanschrift unverzüglich dem Arbeitgeber mitzuteilen. Nachteile aus der Verletzung dieser Pflicht sollen zulasten des Arbeitnehmers gehen, womit in der Hauptsache gemeint ist, dass zugangsbedürftige Erklärungen des Arbeitgebers wie z.B. Kündigungen bei Zustellung an die zuletzt genannte Adresse als zugegangen gelten sollen. Solche Klauseln sind nach § 308 Nr. 6 BGB unwirksam, wenn es sich um Erklärungen "von besonderer Bedeutung" handelt, zu denen auch Kündigungen gehören. Sie machen den Nachweis des konkreten Zugangs nicht obsolet. Dies gilt auch für Konstruktionen, mit denen allein eine Beweislastumkehr erreicht werden soll, also die Vermutung des Zugangs fingiert, dem Arbeitnehmer aber die Möglichkeit eingeräumt wird, den Nicht-Zugang zu beweisen.
2. Tatsachenerklärungen
Rz. 188
Ähnlich zu bewerten sind Klauseln, mit denen der Arbeitnehmer eine Tatsache bestätigt und dadurch eine eigentlich den Arbeitgeber treffende Beweislast auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden soll. Ein typisches Beispiel hierfür ist die in den Schlussbestimmungen eines Arbeitsvertrags enthaltene Bestätigung, dass der Arbeitnehmer bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrags eine Ausfertigung desselben erhalten hat. Eine solche Klausel ist nach § 309 Nr. 12 BGB unwirksam, wenn sie nicht gesondert unterschrieben wird. Dagegen bekräftigt die weit verbreitete Klausel "Mündliche Nebenabreden sind nicht getroffen" lediglich die ohnehin einer schriftlichen Vereinbarung innewohnende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit. Da sie deshalb nicht zu einer Verschiebung der Beweislast führt, ist sie AGB-rechtlich nicht zu beanstanden.
3. Fingierte Erklärungen
Rz. 189
Eine ähnliche Interessenlage liegt bei Vereinbarungen über fingierte Erklärungen vor. Tritt ein bestimmtes Ereignis ein, auf das der Arbeitnehmer nicht reagiert, soll nach diesen Klauseln eine bestimmte Rechtsfolge trotz des Schweigens des Arbeitnehmers eintreten. Bekanntester Anwendungsfall ist die bis vor einiger Zeit vom BAG noch anerkannte sog. gegenläufige betriebliche Übung. Bislang konnte ein Arbeitgeber Ansprüche der Arbeitnehmer, die allein auf betrieblicher Übung beruhten, durch eine dreijährige gegenläufige Übung wieder beseitigen. Bestand beispielsweise ein Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt aufgrund einer betrieblichen Übung, so entfiel dieser Anspruch wieder, wenn der Arbeitgeber die Leistung drei Jahre hintereinander unter einem ausdrücklichen Freiwilligkeitsvorbehalt auszahlte und die Arbeitnehmer dabei auf die Absicht hinwies, die bisherige betriebliche Übung zu beenden, die Arbeitnehmer dieser Absicht aber nicht ausdrücklich widersprachen.
Rz. 190
Aufgrund der Anwendung der §§ 305 ff. BGB im Arbeitsrecht hat das BAG seine ständige Rechtsprechung zur sog. gegenläufigen betrieblichen Übung aufgegeben. Der Beseitigung von Ansprüchen durch eine gegenläufige betriebliche Übung steht das Verbot fingierter Erklärungen in § 308 Nr. 5 BGB entgegen. Von dem als wesentliches Prinzip des Privatrechts anzusehenden Grundsatz, dass Schweigen in der Regel keine Willenserklärung ist, kann durch Allgemeine Geschäftsbedingungen nur in engen Grenzen abgewichen werden. § 308 Nr. 5 BGB verbietet den Arbeitsvertragsparteien zwar nicht, zu vereinbaren, dass das Schweigen des Arbeitnehmers zu einem Angebot des Arbeitgebers als Annahmeerklärung anzusehen ist. Die Vorschrift untersagt fingierte Erklärungen jedoch für den Fall, dass die drohende Fiktionswirkung dem Arbeitnehmer nicht hinreichend bewusst gemacht und ihm keine angemessene Frist zur Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung eingeräumt wird.
Rz. 191
Soll eine an ein Schweigen geknüpfte Fiktionswirkung eintreten, muss der Arbeitgeber sich deshalb verpflichtet haben, den Arbeitnehmer bei Beginn der Frist auf die Bedeutung seines Schweigens besonders hinzuweisen. Schließlich muss dieser Hinweis auch tatsächlich und in einer Form erfolgen, die unter normalen Umständen die Kenntnisnahme verbürgt. Gibt der Arbeitgeber zwar tatsächlich den Hinweis, hat er sich aber dazu vertraglich nicht verpfl...