Leitsatz (amtlich)
1. Eine allein durch das Kosteninteresse eines Inkassounternehmens oder seiner Prozessbevollmächtigten motivierte Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnis rechtsmissbräuchlich erhoben und damit unzulässig. So kann es liegen, wenn ein mit der Durchsetzung von Ansprüchen aus den Vorschriften über „die Mietpreisbremse” befasstes Inkassounternehmen den Vermieter gemäß §§ 398, 556g Abs. 3 BGB aus abgetretenem Recht des Mieters auf Auskunft über Ausnahmetatbestände nach § 556e Abs. 1 und Abs. 2 BGB in Anspruch nimmt, obwohl der Vermieter sich wegen Verstoßes gegen § 556g Abs. 1a Satz 1 BGB auf solche ihn begünstigenden Ausnahmetatbestände, sollten sie vorliegen, ohnehin nicht berufen könnte.
(Anschluss an/Abgrenzung zu BGH – VIII ZR 133/20 –, Urt. v. 23.03.2022)
2. Eine Klage ist gemäß §§ 253 Abs. 1, 130a Abs. 3 ZPO formwirksam erhoben, wenn die in elektronischer Form eingereichte Klageschrift zwar nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 ZPO an das Gericht übermittelt wird, aber mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Geschäftsführers der Prozessbevollmächtigten der Klägerin versehen ist. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn die gerichtliche Software für die Aktenpflege und Aktenverwaltung bloß auf eine mit übersandte einfache „.pdf”-Kopie der Klageschrift zugreift, weil es die signierte Datei nicht verarbeiten kann, diese sich aber mit einem für das Gericht verfügbaren Signaturprüfungsprogramm öffnen und erfolgreich daraufhin überprüfen lässt, dass sie das qualifiziert elektronisch signierte Original der von der Gerichtssoftware verarbeiteten „.pdf”-Kopie enthält.
(Anschluss LG Berlin – 63 S 125/22 –, Urt. v. 14.02.2023 und LG Berlin – 65 S 198/22 –, Urt. v. 20.06.2023)
3. Das Interesse des Mieters an der Herabsetzung der vertraglich vereinbarten Miete auf das nach den Vorschriften über die „Mietpreisbremse” gemäß §§ 556d ff. BGB höchstzulässige Maß ist entsprechend § 41 Abs. 5 GKG mit dem einfachen und nicht mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der streitigen Mietpreisüberhöhung zu bewerten.
(Anschluss an Kammergericht Berlin – 12 W 26/22 –, Beschl. v. 29.09.2022, GE 2022, 1258 ff. und LG Berlin – 64 S 189/22 –, Urt. v. 26.04.2023, GE 2023, 698 ff.; Entgegen BGH – VIII ZR 382/21 –, Urt. v. 18.05.2022, Rn. 54 und BGH – VIII ZR 45/19 –, Urt. v. 27.05.2020, BGHZ 225, 352 ff., Rn. 117)
4. nicht rechtskräftig; die zugelassene Revision ist eingelegt worden: BGH – VIII ZR 211/23 -
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Urteil vom 21.11.2021; Aktenzeichen 217 C 35/22) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21. November 2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – 217 C 35/22 – unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweise geändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 70,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. August 2022 zu zahlen.
- Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 220,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. August 2022 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision der Klägerin wird zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf bis zu 500,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist ein Inkassounternehmen, das aus abgetretenem Recht eines Wohnungsmieters Ansprüche nach §§ 556d ff. BGB zur Durchsetzung der sogenannten „Mietpreisbremse” verfolgt. Die Beklagte ist Vermieterin der betroffenen Wohnung.
Das Mietverhältnis begann am 15. April 2021. Die Beklagte hatte den Mieter vor Abschluss des Mietvertrages nicht darauf hingewiesen, dass sie sich zur Rechtfertigung der Miethöhe auf Ausnahmetatbestände wie eine bestandsgeschützte Vormiete oder durchgeführte Modernisierungsarbeiten berufe. Gleichwohl machte die Klägerin vorgerichtlich umfangreiche Auskunftsansprüche in Bezug auf solche Ausnahmetatbestände geltend und hat diese mit der Klage teilweise weiter verfolgt. Daneben hat die Klägerin anteilige Rückzahlung der von dem Mieter unter Vorbehalt geleisteten Miete für den Monat Juni 2021 sowie Erstattung vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 453,87 EUR begehrt, die sie nach einem behaupteten Interesse von insgesamt 3.300,81 EUR (47 × 70,23 EUR) berechnet hat. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich der im ersten Rechtszug zur Entscheidung gestellten Sachanträge wird im Übrigen auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
Das Amtsgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben. Das Vorgehe...