Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahmefiktion: Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde. Unerfüllbarkeit von gerichtlichen Auflagen. Rücknahmefiktion des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Vorliegen von unvollständigen Erklärungen und Unterlagen
Leitsatz (amtlich)
Weist das Insolvenzgericht nicht in verständlicher Weise darauf hin, welche unvollständigen Erklärungen und Unterlagen zu ergänzen sind, so kommt dies einer Erteilung unerfüllbarer gerichtlicher Auflagen gleich. In diesem Fall ist die sofortige Beschwerde gegen die Mitteilung der Rücknahmefiktion gemäß § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO analog § 34 Abs. 1 InsO statthaft.
Normenkette
InsO § 34 Abs. 1, § 305 Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
AG Bonn (Entscheidung vom 17.08.2010; Aktenzeichen 97 IK 207/10) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 17.08.2010 – 97 IK 107/10 -aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Eröffnungsantrag der Schuldnerin vom 15.06.2010 nicht gemäß § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO als zurückgenommen gilt und dass die Anträge auf Erteilung der Restschuldbefreiung sowie auf Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens nicht gegenstandslos sind.
Tatbestand
I.
Die Schuldnerin beantragte unter dem 16.06.2010 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen sowie Restschuldbefreiung und Stundung der Verfahrenskosten. Dem Antrag beigefügt waren zahlreiche Anlagen.
Am 22.06.2010 wies das Amtsgericht darauf hin, dass die vorgelegte Bescheinigung über den erfolglosen Versuch einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern nicht den Anforderungen des § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO genüge; das eingereichte Verzeichnis der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen (§ 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO) sei unvollständig; die Anlage 4, Ergänzungsblätter G und J und K seien auszufüllen, ferner fehle der erforderliche Schuldenbereinigungsplan. Das Amtsgericht gab Gelegenheit, die Unterlagen unverzüglich nachzureichen, und teilte mit, dass der Eröffnungsantrag als zurückgenommen gelte, falls dies nicht innerhalb eines Monats ab Zustellung geschehe. Die Verfügung wurde am 29.06.2010 zugestellt.
Auf einen Fristverlängerungsantrag der Schuldnerin teilte das Amtsgericht unter dem 05.07.2010 mit, dass die Monatsfrist nicht verlängert werden könne; die Schuldnerin habe im Übrigen die richtigen Formulare des Schuldenbereinigungsplans vorgelegt, „nur eben nicht ausgefüllt".
Mit Schriftsatz vom 08.07.2010 legte die Schuldnerin unter Bezugnahme auf die Verfügung vom 22.06.2010 weitere Unterlagen vor; u.a. führte sie aus: „Soweit das eingereichte Verzeichnis der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen als unvollständig beanstandet worden ist, überreichen wir in Anlage weitergehend ausgefüllt Anlage 4 sowie die Ergänzungsblätter 5 G, 5 J und 5 K". Eine erneute Vorlage der Anlage 6, d.h. des Verzeichnisses der gegen die Schuldnerin gerichteten Forderungen, erfolgte jedoch nicht.
Hierauf teilte das Amtsgericht mit Verfügung vom 12.07.2010 mit: „Die Bescheinigung über den vorgerichtlichen Einigungsversuch (Anlage 2 A) ist nach wie vor unvollständig".
Die Schuldnerin legte mit Schriftsatz vom 14.07.2010 die weitergehend ausgefüllte Anlage 2 A vor und bat um einen Hinweis, falls noch bestimmte Angaben oder Unterlagen benötigt würden.
Mit Verfügung vom 23.07.2010, zugestellt am 03.08.2010, hat das Amtsgericht mitgeteilt, dass der Eröffnungsantrag vom 15.06.2010 nunmehr kraft Gesetzes als zurückgenommen gelte, weil er unvollständig gewesen und trotz gerichtlicher Aufforderung nicht fristgerecht ergänzt worden sei. Damit seien auch die Anträge auf Erteilung der Restschuldbefreiung sowie auf Stundung der Verfahrenskosten gegenstandslos. Eine weitergehende Begründung enthielt die Verfügung nicht. In einem richterlichen Vermerk vom selben Tag, der nicht bekannt gegeben wurde (Bl. 101 R d.A.), hieß es: „Unvollständig ausgefüllt: Anlage 4, Ergänzungsblätter 5 J, 5K, Anlage 6 (nicht erneut vorgelegt)".
Hiergegen hat die Schuldnerin unter dem 13.08.2010, eingegangen am 14.08.2010, sofortige Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 17.08.2010 nicht abgeholfen und die Akte dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass die sofortige Beschwerde unter Bezugnahme auf BGH ZInsO 2009, 2262 unzulässig sei. Das Amtsgericht habe keine unerfüllbaren oder inhaltlich unzulässigen Anforderungen gestellt, vielmehr habe die Schuldnerin lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen Vordrucke trotz Aufforderung nicht ausgefüllt.
Entscheidungsgründe
II.
1.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft. Die Mitteilung, dass die gesetzliche Rücknahmefiktion nach § 305 Abs. 3 InsO eingetreten sei, ist allerdings grundsätzlich nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, weil die Insolvenzordnung insoweit kein Rechtsmittel vorsieht (vgl. näher BGH, Beschluss vom 22.10.2009 – IX ZB 195/08 –, ZinsO 2009, 2262). In Ausnahmefällen kommt jedoch eine analoge Anwe...