Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerüstbau. Baugerüst. Seitenschutz

 

Normenkette

SGB 7 § 110; BGB § 618; ArbSchG § 3

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 15.12.2016; Aktenzeichen 2 StR 380/16)

 

Tenor

• 1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 79.307,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.11.2014 zu zahlen.

• 2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die weiteren Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten Q H vom 11.10.2012 entstanden sind und zukünftig entstehen, jedoch nur bis zur Höhe des um ein Mitverschulden des Versicherten der Klägerin von 30 % geminderten zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs ihres Versicherten gegen den Beklagten, der bestehen würde, wenn dieser gegenüber dem Versicherten nicht nach §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert wäre.

• 3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

• 4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzforderungen aus einem Unfallereignis, für welches die Klägerin als gesetzliche Unfallversicherin eintrittspflichtig war.

Der Beklagte betreibt seit dem 01.10.2012 ein Dachdeckerunternehmen, welches er zu diesem Stichtag übernommen hat. Anfang Oktober 2012 führte das Unternehmen an dem Bauvorhaben H2 N-Pfad …a in … L Dachdeckerarbeiten aus. Als Mitarbeiter des Beklagten war damit u.a. der Zeuge H befasst. An drei Seiten war das Gebäude seitens der Streithelferin zu 1 eingerüstet worden, welche sich insoweit ihrer Mitarbeiter, der Zeugen P und U, bedient hatte. Hinsichtlich der Örtlichkeit sowie der Ausführung des Gerüstes verweist die Kammer auf die Lichtbilder Bl. … bis … sowie … bis … der Beiakte … Js …/… StA L.

Am 11.10.2012 begab sich der Zeuge H über das an der Giebelseite des Gebäudes stehende Gerüst auf das Dach, um dort mittels einer Nagelpistole im Bereich der zur Straße hin gelegenen Dachtraufe Dachlatten zu befestigen. Wie er erkannt hatte, war sein Arbeitsumfeld angesichts geringer nächtlicher Temperaturen glatt, weil sich dort Raureif gebildet hatte. Auch wusste er, dass der zur Straße hin gelegene Teil des Baugerüsts bislang nicht entsprechend den geltenden Sicherheitsvorschriften aufgebaut worden war. Insbesondere betrug der Abstand zwischen der Hauswand und den Belagflächen des Gerüstes – die Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig – deutlich mehr als die vorgeschriebenen maximal 30 cm. Dementsprechend befand sich an dem Gerüst auch nicht der notwendige Freigabeschein, mit welchem das Gerüstbauunternehmen die Fertigstellung üblicherweise bekanntgibt.

Gegen 8:30 Uhr rutschte der Zeuge H im Bereich der zur Straße hin gelegenen Traufkante auf dem Raureif aus und stürzte. Sein Versuch, sich mit der linken Hand an der bereits angebrachten Dachlattung festzuhalten, schlug fehl und so stürzte er zunächst einen Meter tief auf die oberste Belagfläche des straßenseitigen Gerüsts und unmittelbar nach dem Aufprall von dort – da der notwendige Sicherheitsabstand nicht eingehalten war – zwischen Hauswand und Gerüst hindurch etwa weitere 4,5 m in die Tiefe. Er prallte auf der Abdeckung eines Kellerschachts auf.

Bei dem Sturz erlitt er erhebliche Verletzungen, unter anderem eine Rippenserienfraktur rechts, eine Lungenquetschung mit Hämatopneumothorax, eine Grundplattenfraktur des achten Brustwirbels sowie einen dislozierten Trümmerbruch des rechten Unterarms. Er wurde in das Krankenhaus nach L-N2 verbracht und dort zunächst bis zum 15.10.2012 intensivmedizinisch betreut. Bis zum 27.10.2012 verblieb er anschließend stationär in der Klinik, wo der Unterarm osteosynthetisch versorgt wurde. Anschließend wurde er ambulant, auch physiotherapeutisch, weiterbehandelt. Nachdem sich bei ihm am rechten Unterarm eine Pseudoarthrose gebildet hatte, musste er sich am 29.05.2013 erneut einem operativen Eingriff unterziehen, weshalb er bis zum 06.06.2013 in der Klinik verblieb. Danach musste er ambulant weiterbehandelt werden. Ab dem 09.12.2013 konnte bis Mitte Januar 2014 eine arbeitsplatzspezifische Rehabilitation durchgeführt werden und danach eine Belastungserprobung im Betrieb des Beklagten. Seit dem 25.02.2014 ist er wieder als Dachdecker tätig. Allerdings ist das eingebrachte Material bislang im rechten Unterarm verblieben. Seine bestandskräftig anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit liegt derzeit bei 10 %.

Als gesetzliche Unfallversicherin hat die Klägerin insbesondere Heilbehandlungskosten, Hilfsmittel, Medikamente sowie das Verletztengeld übernommen. Im Rahmen der sich aus §§ 104 Abs. 1, 110 Abs. 1 SGB VII ergebenden Haftungsprivilegierung nimmt sie den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, und zwar unter Berücksichtigung eines 30%igen Mitverschuldens des Geschädigten. Ihre Forderungen beziffert sie auf 28.415,17 EUR (70 % der Behandlungskosten in Höhe von 40.593,10 EUR), weitere 14.000,00 EUR (70 % eines für angeme...

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